Am Beispiel Kolumbien lässt sich erkennen, wohin das an den Universitäten heute so populäre Konzept der "Sicherheits-Governance" führen kann

Beitrag aus der Jungen Welt 22.6.2009

Dass an deutschen Universitäten zunehmend über Kriegs und Sicherheitskonzepte debattiert wird, darf eigentlich nicht verwundern. Seit die rotgrüne Regierung 1999 den Jugoslawien-Krieg mit der historischen Verantwortung der Deutschen legitimierte, ist die Bundeswehr so oft zum Einsatz gekommen, dass Kriegsbeteiligungen heute wieder als normale Form der Außenpolitik gelten. Parallel hierzu warb Herfried Münkler, zuletzt mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, von seinem Lehrstuhl in Berlin aus für eine neoimperiale Neuausrichtung der Politik. Es ist nicht zuletzt diesem akademischen Wortführer der Berliner Republik zu verdanken, dass Studierende sich heute mit Carl Schmitts Thesen zur Partisanenbekämpfung meist besser auskennen als etwa mit der Frankfurter Schule.

In eben diesem Zusammenhang sind schließlich auch die Aktivitäten des Sonderforschungsbereiches ‚Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit’ (SFB 700) an der FU Berlin zu sehen. Selbstredend weisen die Akteure des interdisziplinären Verbundes – allen voran der Projektleiter Thomas Risse – es weit von sich, dass man am SFB 700 kriegsbegleitende Sozialforschung betreibe. Es gehe vielmehr um die Frage, wie die „Regierungsleistungen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt“ dort erbracht werden können, wo der Staat nur beschränkt oder nicht handlungsfähig ist.
Doch wenn man die am Sonderforschungsbereich debattierten Problemstellungen betrachtet, ist doch recht deutlich, wohin die Reise geht. Man fragt, wo „Interventionen geboten sind“ oder wie die Kolonialräume Nordamerikas im 18. Jahrhundert regiert wurden. Man untersucht, wie eine transnationale „Security Governance“ aussehen könnte, bei der Sicherheitskräfte, NGOs, Unternehmen, Lokaleliten und traditionelle Strukturen zusammenwirken. Und immer wieder plädiert man dafür, sich vom Staat als Norm zu verabschieden.

Der Begriff der 'Governance’ zielt also offensichtlich auf die Frage ab, wie man Räume informell regieren und kontrollieren kann. Und dabei kommt man fast zwangsläufig zum Phänomen der Sicherheit- und Machtarrangements.

Am Beispiel Kolumbien lässt sich bestens zeigen, was es bedeutet, wenn in Verbindung mit westlichen Interessen eine Informalisierung von Politik und Sicherheit betrieben wird. Das Land ist seit 1999 der wichtigste Empfänger von US-Militärhilfe in der westlichen Hemisphäre. Erst vor wenigen Tagen hat die Obama-Administration neue Waffenhilfen in Höhe von 500 Millionen US-Dollar zugesagt. Und auch von der EU wird die Regierung in Bogotá massiv gestützt. Der Mainstream-Lesart zufolge handelt es sich in Kolumbien um einen „Bandenkrieg“, in dem sich nichtstaatliche Gruppen mittels ihrer Militärmacht die Einnahmen aus Drogenhandel, Schutzgelderpressungen und Entführungen zu sichern suchen. Erst die Offensive der Regierung Álvaro Uribe habe die Situation zuletzt wieder etwas verbessert.

Diese Beschreibung ist zwar auch im Wissenschaftsbetrieb verbreitet, nichtsdestotrotz aber unzutreffend. Es ist zwar richtig, dass es sich beim kolumbianischen Konflikt nicht um einen „Volksbefreiungskrieg“ handelt, wie manche Linke romantisierend unterstellen. Und es ist auch wahr, dass bandenähnliche Strukturen den Krieg als Einnahmequelle nutzen. Doch anders als gemeinhin angenommen, treten die „Banden“ als Element einer erweiterten Staatsmacht auf und wurden in der Vergangenheit auch von der US-Regierung teilweise protegiert.
Der „Zerfall“ des Staates, der failing state stellt sich im Fall Kolumbien also als eine Strategie der informalisierten Sicherheit dar.

Der Paramilitarismus

Unabhängig davon, wie man die Guerillas FARC und ELN bewertet, steht außer Frage, dass die Entgrenzung der Kriegsgewalt in Kolumbien in erster Linie auf das Konto der Paramilitärs (und eben nicht der Guerilla) geht. Seit Ende der 1970er Jahre haben paramilitärische Gruppen Zehntausende Menschen ermordet, ganze Linksparteien und Gewerkschaften eliminiert und Millionen von Kleinbauern vertrieben. Dies ist der eigentliche Kern des kolumbianischen Dramas.

Während internationale Medien sich in erster Linie für das Schicksal von einigen Hundert – überwiegend aus der Mittelschicht und den staatlichen Sicherheitskräften stammenden – Entführten interessieren, haben Millionen von Kleinbauern ihr Land verloren und barbarische Gewalthandlungen über sich ergehen lassen müssen. Die Fluchtbewegungen, die durch Massaker ausgelöst wurden, waren dabei nicht einfach die Folge von Kriegshandlungen. Das barbarische Abschlachten von Zivilisten, wie es von den Paramilitärs in mehr als 1000 Fällen inszeniert wurde, folgte vielmehr einem strategischen Kalkül. Mit den Massakern wurden ökonomisch oder militärisch interessante Regionen entvölkert und aufsässige Bevölkerungsteile eingeschüchtert.

Dass der rasant wachsende Forschungszweig der Sicherheitsstudien diese besondere Form des Terrorismus nicht zur Kenntnis nimmt, sagt viel über den Charakter des Sicherheitsdiskurses aus. Denn der Paramilitarismus trägt offensichtlich Züge eines Klassenterrorismus. Kein einziges Massaker wurde je in einem Mittel- oder Oberschichtsviertel verübt. Alle Aktionen richteten sich gegen Angehörige der so genannten „gefährlichen Klassen“, gegen Armenviertel oder Dörfer, in denen soziale Bewegungen aktiv waren, und gegen die Bewohner solcher Regionen, die für Viehzüchter und Unternehmen interessant sind.
Obwohl auch die Paramilitärs aus der Unterschicht stammen, war die Zielrichtung dieser Verbrechen stets selektiv. Ihre Gewalt hat den sozioökonomischen Status Quo in Kolumbien sicher gestellt.

Das Outsourcing staatlicher Gewalt

Für das Entstehen der Paramilitärs sind in Kolumbien genau jene Akteure verantwortlich, die im Rahmen der Governance-Forschung als Träger von Regierungsleistungen ausgemacht werden: staatliche Einrichtungen, nichtstaatliche Verbände und Parteien, transnationale Unternehmen, lokale Machtstrukturen. Und auch die Ziele dieser Kooperation entsprechen durchaus den Vorgaben der Governance-Debatte. Der kolumbianische Paramilitarismus dient dazu, Herrschaft und Sicherheit zu gewährleisten. Dort, wo sich die autoritären Strukturen des Paramilitarismus durchgesetzt haben, kommt schließlich auch der dritte Governance-Aspekt, nämlich Wohlfahrt zur Geltung. Das heißt, der Paramilitarismus geht mit entwicklungspolitischen Projekten einher, durch die die Transformation von Regionen zementiert, aber auch Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird.
Der Paramilitarismus als informeller Träger solcher 'Regierungsleistungen’ ist dabei zu keinem Zeitpunkt unabhängig vom Staat gewesen. Die ersten Gruppen entstanden Ende der 1970er Jahre als Geheimkommandos von Polizei und Armee. Die Triple-A-Todesschwadronen – bemerkenswerter Weise wurde derselbe Name zeitgleich auch in Argentinien und Spanien verwendet – sorgten mit Folter und Mord für eine Entregelung der Staatsgewalt. Dies war im Sinne der Aufstandsbekämpfung effizient: Man sparte sich langwierige Gerichtsprozesse. Doch als die Verbindungen mit dem Staatsapparat sichtbar wurden, war der politische Schaden beträchtlich.

Aus diesem Grund bildeten sich ab 1981 stärker ausgelagerte Strukturen. Dabei machte sich die Armeeführung die Unzufriedenheit von Unternehmern und Viehzüchtern zunutze, die von der Guerilla erpresst wurden. Weiterhin waren am Aufbau der neuen paramilitärischen Selbstverteidigungsgruppen zum einen ausländische Unternehmen beteiligt. Im zentralkolumbianischen Magdalena Medio stellte die Texaco Oil Company Mitte der 1980er Jahre Ländereien für Ausbildungskurse zur Verfügung. Im nordkolumbianischen Urabá finanzierten Fruchtmultis wie Chiquita und Dole die Paramilitärs mit Millionenbeträgen.

Zum anderen spielte aber auch die Organisierte Kriminalität eine Schlüsselrolle. Bei dieser überraschend anmutenden Allianz verschränkten sich die Interessen: Die großen Drogen-Capos sicherten sich durch ihre Beteiligung an der Oppositionsbekämpfung vor einer Strafverfolgung ab und konnten – mit Unterstützung der Militärs – eigene Privattruppen aufbauen. Der Staat wiederum verfügte über einen Partner, der einerseits die notwendigen finanziellen Ressourcen für einen Geheimkrieg mitbrachte und völlig unabhängig zu agieren schien, andererseits aber jederzeit erpressbar blieb.

Dieses effiziente und extrem gewalttätige Machtarrangement bestand auch in den 1990er und 2000er Jahren fort. Nachdem sich 1997 der Paramilitär-Verband Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) formiert hatte, berichteten die internationalen Medien vom Erstarken rechtsradikaler Milizen, die den kolumbianischen Staat von rechts unter Druck setzten. Tatsächlich bemühten sich die AUC unter ihrem (2004 verschollenen) Kommandanten Carlos Castaño darum, als unabhängiger politischer Akteur aufzutreten. Heute, einige Jahre nach der Auflösung der AUC, weiß man, dass es sich hierbei um eine Art Simulation handelte. Der AUC-Vizekommandant Salvatore Mancuso bezeichnete die Paramilitärs als „virtuelle Organisation“, die mit ihrem politischen Auftreten die Guerilla kopieren sollte. Aus der Sicht des Staates war eine derartige Re-Symmetrisierung des Krieges durchaus funktional: Erschien der Staat doch nicht länger als Repressionsinstanz, sondern als Opfer der Extremisten von links und rechts. Ähnlich wie bei der berüchtigten „Strategie der Spannung“ (die in den 1960er und 1970er Jahren in Italien und anderen NATO-Staaten zur Anwendung kam) sorgten die diffusen und besonders brutalen Gewalttaten der Paramilitärs dafür, dass die Bevölkerung schließlich die autoritäre Durchsetzung des Gewaltmonopols befürwortete. Angesichts immer grausamerer Massaker wurde die Herrschaft eines oligarchischen Staates ganz einfach zum kleineren Übel.
Dieser Prozess war nicht zufällig. Im Fall Kolumbien kann man nachweisen, dass die AUC ihre Aktionen trotz einer scheinbaren Verselbständigung weiterhin mit den Militärführungen koordinierten. Dabei kam es bisweilen zwar zu Konflikten mit einzelnen Vertretern der Regierung und Teilen der Justiz. Doch mit den ökonomischen und politischen Machtgruppen blieb der Paramilitarismus eng verschränkt. Auf diese Weise wurde eine Autoritarisierung im Staat selbst vorangetrieben.

Diese Entwicklung kulminierte 2002 mit der Wahl des Rechten Álvaro Uribe zum Präsidenten. Uribe verdankt sein Amt maßgeblich den Paramilitärs, die er zuvor als Gouverneur aktiv protegiert hatte. Die AUC fälschten gemeinsam mit der Polizeibehörde DAS bei Uribes erster Wahl allein in Nordkolumbien 200.000 Stimmen.

Aufschlussreich ist aber nicht nur, wie das autoritäre Sicherheitsarrangement entstand und agierte, sondern auch, wie es sich wieder auflöste: Unmittelbar nach Uribes Amtsantritt nahm die Regierung mit den Paramilitärs „Friedensgespräche“ auf, die schließlich zur Demobilisierung der AUC führten. Der letztlich unpolitische Charakter der AUC war allerdings schon bald nicht mehr zu verheimlichen. Es wurde immer deutlicher, dass es sich bei den ‚Selbstverteidigungsgruppen’ um Gewaltstrukturen der Organisierten Kriminalität handelte, die als Gegenleistung für ihren Beitrag zur Aufstandsbekämpfung eine Art Franchise für illegale Geschäfte erhalten hatte. Das heißt, die Paramilitär-Kommandanten hatten mit stiller Billigung des Staates Drogenhandel und Schutzgelderpressung im großen Stil betrieben. Dieser irreguläre Zustand war nun nicht länger haltbar. Aus diesem Grund wurden die AUC-Führer interniert und 2008, nachdem sie über politische Hintermänner auszusagen begonnen hatten, in die USA ausgeliefert, wo sie heute wegen Drogenhandels vor Gericht stehen. Die zurückgebliebenen mittleren Kader des Paramilitarismus üben heute jedoch weiterhin die gleiche Funktion aus: Sie greifen Selbstorganisierungsprozesse und Aktivisten an und werden dafür von den Staatsorganen – auf allerdings prekäre Weise – protegiert.
Wenn die Regierung in Kolumbien heute davon spricht, dass es nach dem Ende der AUC keine Paramilitärs, sondern nur noch „kriminelle Banden“ gebe, ist das deshalb gleichermaßen richtig wie falsch. Die Paramilitärs waren, anders als die Guerilla, nie politisch motiviert. Es handelte sich stets um Gewaltstrukturen aus dem Umfeld des Drogenhandels, die vom Staat – oder Teilen des Staates – sowie Kapitalbesitzern eingesetzt wurden, um für ‚Sicherheit’ zu sorgen.

Weltmarkt, Kriegsökonomie, organisierte Kriminalität

Diese informelle Herrschaftsgewalt hat die kolumbianische Gesellschaft nachhaltig transformiert. Sie hat ein Klima der Angst geschaffen, in dem das Engagement in Gewerkschaften und Kooperativen lebensbedrohlich erscheint. In vielen Regionen, etwa im Umfeld der Bananenplantagen von Urabá, ist die Bevölkerung in eine Komplizenschaft mit den Tätern hineingetrieben worden. Vor die Wahl gestellt, das Ordnungsregime zu akzeptieren oder zu sterben, haben sich die Bewohner arrangiert und ihre Wahrnehmung den herrschenden Diskursen angepasst. Darüber hinaus haben sich Zehntausende als Söldner direkt an den Verbrechen beteiligt und selbst mit Schuld beladen. Der Paramilitarismus wird vor diesem Hintergrund auch dann noch für Stabilität sorgen, wenn seine bewaffneten Gruppen eines Tages völlig verschwunden sein sollten.
Anders als der Diskurs der „Neuen Kriegen“ unterstellt, ist die paramilitärische „Bandengewalt“ auch nicht in erster Linie mit der Schattenökonomie zu erklären. Zwar stimmt es, dass die Drogeneinnahmen den Paramilitarismus finanzieren. Doch das ökonomische Projekt der Paramilitärs deckt sich mit den Vorstellungen der formalen Ökonomie, also der Unternehmerverbände, großer Entwicklungsagenturen und ausländischen Investoren.

Faktisch hat der Paramilitarismus den Zugriff auf Ressourcen wie Erdöl, Kohle und Biodiversität erleichtert. Von Subsistenz geprägte (indigene oder afrokolumbianische) Regionen wurden mit Hilfe von Vertreibungen für Großprojekte erschlossen. Beim US-Bergbaukonzern Drummond oder den Lebensmittelmultis Chiquita, Dole, Nestlé und Coca Cola haben Paramilitärs die Gewerkschaften zerschlagen, systematisch geschwächt oder auf Linie gebracht. In diesem Zusammenhang sind AUC-Kommandanten – so etwa im Palmenanbau in Westkolumbien – sogar unmittelbar Nutznießer internationaler Entwicklungshilfe geworden. Die Kriegsökonomie der Paramilitärs ist also doppelt mit dem Weltmarktsektor verschränkt: Die Organisierte Kriminalität hat nicht nur in die Exportwirtschaft investiert; sie hat auch maßgeblich zur Durchsetzung eines weltmarktorientierten Entwicklungsmodells beigetragen. Hier wäre nicht das Scheitern der Moderne zu beklagen; es handelt sich vielmehr um eine spezifische Variante der Modernisierung.

Imperiale Governance

Und schließlich lässt sich im Fall Kolumbien auch belegen, dass die Entgrenzung der Gewalt im Zusammenhang von imperialer Politik zu sehen ist.

Die Gründung paramilitärischer Gruppen wurde dem kolumbianischen Staat im Rahmen der Militärberatung bereits Anfang der 1960er Jahre von den USA nahe gelegt. Zunächst propagierte man die Aufstellung ziviler Wachschutzmilizen. Doch auch das Phänomen der Todesschwadronen breitete sich im Zusammenhang mit US-Sicherheitsstrategien aus: Der erste große Ausbildungskurs kolumbianischer Todeskommandos wurde 1988 von einer israelischen Sicherheitsfirma durchgeführt, der die US-Regierung einen verdeckten Stützpunkt in der Karibik finanziert hatte. Als der Drogen-Capo Pablo Escobar einige Jahre später zum Staatsfeind Nr. 1 der USA aufstieg, übernahm eine Todesschwadron namens PEPEs die Bekämpfung von Escobars Anhängern in Medellín. Freigegebene US-Regierungsakte belegen, dass die an der Jagd auf Escobar beteiligten US-Sondereinheiten mit eben diesen Todesschwadronen kooperierten. Die PEPEs verübten ihre Morde auf der Grundlage von US-Geheimdienstinformationen. Die Anführer dieser PEPEs wiederum waren in den 1990er Jahren Gründer der paramilitärischen AUC – so die Brüder Fidel und Carlos Castaño, der Medelliner Auftragsmörder Diego Murillo (alias Don Berna) und der Ex-Offizier Carlos Mauricio García (alias Doblecero). Und auch in der Folgezeit bestanden diese eigentümlichen Verbindungen fort: 1999 wickelten die AUC einen Waffenhandel ab, an dem auch die guatemaltekische Vertretung des staatlichen israelischen Rüstungskonzerns IMI beteiligt war. Im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts wurden mehr als 3000 Sturmgewehre an die AUC geliefert, wobei die Schmuggelcontainer – dem Untersuchungsbericht der Organisation Amerikanischer Staaten zufolge – auf dem privaten Verladehafen des US-Fruchtkonzerns Chiquita gelöscht wurden. Ähnlich bizarr sind schließlich auch die Beziehungen der US-Anti-Drogenbehörde DEA zu kolumbianischen Drogenhändlern, darunter auch wichtigen Paramilitärs. Zwischen 1997 und 2004 kam es in den USA zu 114 Justiz-Deals mit kolumbianischen Drogenhändlern. Die Capos erkauften sich Straferlasse und teilweise auch Aufenthaltsgenehmigungen. Diese Deals, bei der die US-Anti-Drogenbehörde DEA mit engen Castaño-Vertrauten zusammenarbeitete, könnte man noch – auch wenn einige Protagonisten des drogenparamilitärischen Netzwerkes dadurch einen legalen Status in den USA erhielten – als Strategie zur Drogenbekämpfung interpretieren. Brisanter ist allerdings die Frage, was mit den Einnahmen aus den Justiz-Deals geschehen ist: Im Rahmen der Vereinbarungen sollen die USA mehr als 200 Millionen US-Dollar von Drogenhändlern kassiert haben. Diese Gelder waren, nach Aussagen eines Beteiligten, für einen Geheimfonds bestimmt.

Es gibt also einige Hinweise darauf, dass die Aktivitäten der kolumbianischen Paramilitärs von US-Behörden zumindest phasenweise protegiert wurden. Allzu verwunderlich wäre das nicht – Interessenüberschneidungen liegen auf der Hand. Doch andererseits handelt es sich auch nicht um bedingungslose Kooperationen: Die wichtigsten AUC-Führer stehen heute in den USA vor Gericht. Offensichtlich geht es also bei informellen Sicherheitsarrangements nicht nur darum, lokale Gewaltakteure zu instrumentalisieren, sondern auch sie gegebenenfalls zu „entsorgen“.

Der Fall Kolumbien kann sicher nicht als Regelfall interpretiert werden – der Konflikt beinhaltet hier Aspekte, die noch aus Zeiten des Blockkonflikts stammen. Und doch verweist Kolumbien auf die verhängnisvolle Dimension informalisierter Politik. Hier zeichnet sich eine Variante von Security Governance ab, bei der die Entregelung des Staates und die Entgrenzung der Gewalt wesentlich zu herrschaftlicher Sicherheit beitragen.

Raul Zelik ist Schriftsteller und war zuletzt Gastprofessor für Politik an der Nationaluniversität in Kolumbien. Dieser Text ist eine Zusammenfassung seines neuen Buches „Die kolumbianischen Paramilitärs – ‚Regieren ohne Staat’?“ (Verlag Westfälisches Dampfboot, 29,90 Euro)

 

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Kopfbild Freddy Sanchez Caballero / Kolumbien