Schriftsteller in Kolumbien
erschienen in der FAZ, November 2000
Arturo Alape, langjaehriger Vorsitzender der kolumbianischen Schriftstellerunion, stellte 1998 besorgt die Frage: "Unser Land lebt heute mehr den Tod als das Leben. Es gibt Tausende und Abertausende von Vertriebenen, im ganzen Land wird Blut vergossen. Aber wo sind die Intellektuellen? Verstecken sie sich im Tarnanzug ihres eigenen Schattens?"
Die Situation in dem suedamerikanischen Staat ist tatsaechlich dramatisch. Kolumbien ist das Land mit der hoechsten Mord- und Entfuehrungsrate auf dem amerikanischen Kontinent, der groessten Drogenproduktion, der staerksten Guerilla und den brutalsten Todesschwadronen. Allein im Jahr 2000 haben rechte Paramilitaers mehr als 400 Massaker begangen. Die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Guerilla-Organisationen stocken, ohne richtig begonnen zu haben, und dazu kommt die von den USA unlaengst verabschiedete Militaerhilfe in Hoehe von 900 Millionen US- Dollar, die den Konflikt nach Meinung der meisten Beobachter weiter verschaerfen wird.
Grund genug eigentlich, um die Stimme zu erheben. Doch erstaunlicherweise aeussert sich die Mehrzahl der kolumbianischen Intellektuellen zu den Problemen des Landes kaum. Persoenlichkeiten wie der Literaturnobelpreistraeger Gabriel García Márquez oder der Bildhauer Fernando Botero, die geradezu als Uebervaeter der Nation behandelt werden und enormen Einfluss auf die oeffentliche Meinung besitzen, beziehen seit Jahren keine Stellung mehr. Der letzte groessere Schriftstellerkongress in Bogotá behandelte denn auch das wenig streitbare Thema "Liebe".
Geradezu skurril muten vor diesem Hintergrund die Veranstaltungen an, die seit 1998 in einer kleinen Ortschaft mitten im Kaffeeanbaugebiet noerdlich von Cali stattfinden. Mit Unterstuetzung der Regionalregierung und der Vereinten Nationen organisiert eine Buergerinitiative in der 35.000 Einwohnerstadt Caicedonia die Treffen von kolumbianischen Autoren, die sich fuer eine politische Loesung des Buergerkriegs stark machen - so auch vergangenes Wochenende. Der erste Eindruck, den man als auslaendischer Gast von dieser Veranstaltung bekommt, grenzt ans Absurde. 20 Schriftsteller und zwei auslaendische Berichterstatter, die von der einheimischen Bevoelkerung auf geradezu peinliche Weise hoffiert werden, ueberfallen eine Ortschaft, deren Stadtbild mit ihren Jeeps, Pferdekutschen und Kaffeesaecken an laengst vergangene Zeiten erinnert. An den Strassenecken schwingen betrunkene Bauern ihre Machete, aus den Kneipen droehnen Rancheras, und bei der Eroeffnung des Schriftstellertreffens fehlen weder die ueblichen Grussbotschaften, die in Lateinamerika kein Ende nehmen, noch der anschliessende Cocktailabend, auf dem sich die Provinz-Societé versammelt, um steif im Saal herumzustehen.
Doch auf den zweiten Blick ist die Wahl der Ortschaft keineswegs so schlecht getroffen. "Caicedonia war waehrend des Buergerkriegs in den 50er Jahren eine der am staerksten von der Gewalt betroffenen Doerfer des Landes", erklaert Manuel Tiberio Bermúdez vom Organisationskommitee des Treffens. "Hier sind jede Woche so viele Leute umgebracht worden wie in einem mitteleuropaeischen Land in einem ganzen Monat." Nicht nur historisch ist die Kleinstadt in vieler Hinsicht repraesentativ fuer Gesamt-Kolumbien. Wie man uns erzaehlt wurde Caicedonia 1999 zum ersten Mal von der FARC-Guerilla besetzt, und in den umliegenden Doerfern haben Paramilitaers erst vor wenigen Wochen acht Bauern ermordet. Doch der offene Buergerkrieg ist noch nicht ausgebrochen. Die Vorboten sind hier wie in den meisten Landesteilen nicht zu uebersehen, doch der Alltag scheint von Ruhe gepraegt. Auf der Plaza Central sitzen Alte plaudernd im Schatten und geniessen das angenehme Klima der Kaffeezone.
Unter den Autoren, die sich auf dem "Schriftstellertreffen fuer den Frieden" versammelt haben, sind die im Ausland bekanntesten Namen wie García Márquez oder Alvaro Mutis nicht vertreten, aber doch einige, die in der kolumbianischen Literatur Gewicht besitzen und zum Teil auch ins Deutsche uebersetzt worden sind, unter anderem R. H. Moreno, William Ospina, Oscar Collazos, Arturo Alape oder der Australier Joe Broderick, der seit ueber 30 Jahren in Kolumbien lebt und sich als Biograph des Guerillapfarrers Camilo Torres international einen Namen machte. Broderick, lange Zeit selbst Pfarrer und seit seinem Kirchenaustritt als meist gut gelaunter Ironiker bekannt, macht sich ueber das Treffen lustig: "Ein Wochenendausflug fuer Autoren." Die Reden, die gehalten werden, scheinen ihm Recht zu geben. Bis auf wenige Ausnahmen bemuehen sich die Teilnehmer klare Aussagen zu vermeiden.
Doch fuer Arturo Alape, der zu den meistgelesenen Autoren Kolumbiens zaehlt und aufgrund zahlreicher Morddrohungen von Seiten rechter Todesschwadrone demnaechst nach Hamburg ins Exil gehen wird, besitzt die Veranstaltung schon deswegen an Bedeutung, weil sie das Schweigen durchbricht. "Alles, was die Apathie sprengt, ist wichtig." Ob es an der Angst liege, dass die Intellektuellen in Kolumbien den Krieg mehr oder weniger zu ignorieren versuchen, will ich wissen. Immerhin werden in dem Land so viele Journalisten erschossen wie sonst nirgends auf der Welt. Alape schuettelt den Kopf. "Eher an Desinteresse", sagt er. "Viele halten politische oder soziale Statements fuer eine Art Virus, die die Literatur ruinieren koennten.
Der Literaturprofessor Julian Malatesta, in den 80er Jahren fuehrendes Mitglied der Linkspartei UP und lange Zeit auf Todeslisten vertreten, stimmt ihm zu. "Die kolumbianische Intellektuellen sind apolitisch. Das haengt damit zusammen, dass es ausserhalb der Universitaeten kaum Raum fuer Debatten gibt." Tatsaechlich ist so etwas wie ein Feuilleton in den kolumbianischen Zeitungen so gut wie wie inexistent. "Dazu kam der Zusammenbruch des Ostblocks, der viele Intellektuelle so irritiert hat, dass sie sich ganz von gesellschaftlichen Fragen abwandten." Aber Angst sei nicht der Grund. "In Kolumbien gibt es unglaublich viel Heroismus", sagt Malatesta und berichtet aus den Jahren 1985-92 als alle Buergermeister seiner Partei wussten, dass sie ihre Amtszeit wahrscheinlich nicht ueberleben wuerden. "Und trotzdem haben sich die Leute aufstellen lassen." 4000 Aktivisten seiner Partei wurden damals erschossen.
Auf dem Treffen zeigt sich jedoch bald, dass die Angst sehr wohl eine Rolle spielt. Waehrend die Autoren bei ihren oeffentlichen Reden Gemeinplaetze austauschen, werden die Verantwortlichen fuer die Situation in der internen Diskussion sehr viel deutlicher benannt. Oscar Collazos, der laengere Zeit in Berlin lebte und heute vor allem als Kolumnist fuer die regierungsnahe Tageszeitung El Tiempo arbeitet, spricht das Problem offen aus: "Wir leben mit der Selbstzensur. Wir muessen daran denken, dass wir wegen eines Artikels umgebracht werden koennen. Und natuerlich ist es fuer uns einfacher, an der Guerilla Kritik zu aeussern als an den Paramilitaers. Die Paramilitaers bringen einen schneller um."
Beispiele dafuer gibt es mehr als genug. Im Sommer 1999 wurde der wichtigste Fernsehkomiker des Landes Jaime Garzón erschossen, weil er Witze ueber die Militaers gemacht und fuer eine Verhandlungsloesung mit der Guerilla plaediert hatte. Ebenfalls vergangenes Jahr starb der Universitaetsprofessor und ehemalige Friedensberater der Regierung Jesús Antonio Bejarano - angeblich, weil er sich geweigert hatte, an einer Feierlichkeit zu Ehren zweier abberufener Militaers teilzunehmen. "Aber es gibt durchaus auch Drohungen von der anderen Seite", fuegt Arturo Alape hinzu. "Die Guerilla hat dem El Tiempo-Kolumnisten Plinio Apuleyo Mendoza zweimal Briefbomben geschickt." Mendoza, frueher ebenfalls als Schriftsteller taetig, rechtfertigt in seinen Kolumnen haeufig das Vorgehen der Paramilitaers.
Angst und Selbstzensur sind in Kolumbien in allen gesellschaftlichen Gruppen praesent. Doch paradoxerweise reagiert die Bevoelkerung auf Bemuehungen, Massaker und Menschenrechtsverletzungen offen anzusprechen. Es scheint, als seien die Kolumbianer dankbar darueber, wenn Denkverbote durchbrochen werden. Als Johann Kresnik, Regisseur der Berliner Volksbuehne, Anfang November in Bogotá mit kolumbianischen Schauspielern ein Tanztheaterstueck ueber den Krieg im Land inszeniert hat, war das staedtische Theater mit immerhin 1500 Plaetzen an fuenf aufeinander folgenden Tagen weitgehend voll. "Ein Kolumbianer haette so ein Stueck nicht gemacht", sagte eine der Taenzerinnen im Anschluss an die Auffuehrung. "Er haette nicht so direkt inszeniert." Aber nicht nur das. "Man haette ihn auch nicht gelassen."
Raul Zelik