(Beitrag für den Antiberliner Januar 2007)
Was ist gemeint, wenn in Zeitungen von „neuen Kriegen“ die Rede ist?
Der Begriff der „neuen Kriege“ ist in Deutschland v.a. vom Herfried Münkler geprägt worden. Der Berliner Politikwissenschaftler behauptet, dass Kriege seit dem Westfälischen Frieden 1648 Kriege in erster Linie zwischen Staaten geführt und dadurch begrenzt und geregelt worden seien. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs sei diese Art von Krieg durch irreguläre Konflikte verdrängt worden, in denen Rebellen oder Terroristen eine zunehmend wichtigere Rolle spielten. Dadurch, so Münkler, sei es zu einer Enthegung des Krieges gekommen, denn Partisanen und Terroristen hielten sich nicht an internationale Kriegskonventionen.
Zusammengefasst zeichnen sich die „neuen Kriege“ angeblich dadurch aus, dass sie entstaatlicht sind, von ungleichen Parteien (staatlichen Armeen auf der einen und kleinen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite) ausgetragen werden und dass in ihnen die Kriegsökonomie eine zentrale Rolle spielt (der Krieg stellt für die bewaffneten Akteure eine Einkommensquelle dar).
Der Begriff scheint v.a. dazu zu dienen, die Politik der G-8-Staaten zu rechtfertigen.
Warum legitimiert Herfried Münkler mit seinen Kriegsthesen Herrschaftsverhältnisse?
Die Argumentation Münklers – die mit der westlicher Regierungen, internationaler Hilfsorganisationen und dem Medien-Mainstream weitgehend identisch ist – läuft darauf hinaus, dass die „neuen Kriege“ das Ergebnis von Staatszerfall in der instabilen Dritten Welt sind. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssen Staaten gestärkt werden, die für Ordnung sorgen können. Die einzigen, die das können, sind die G-8-Staaten.
Das ist von vorn bis hinten ziemlicher Quatsch. Wenn wir uns die europäische Geschichte anschauen, waren es nicht irgendwelche Terroristen, die die Zivilbevölkerung erstmalig als Kriegsziel auserkoren haben und damit Kriegskonventionen und Regeln gebrochen haben, wie Münkler behauptet, sondern staatliche Armeen. Bei der Niederschlagung der Pariser Kommune (1870/71) oder des Herero-Aufstandes im heutigen Namibia (1904-07; damals deutsche Kolonie) haben die deutschen Truppen systematisch Zivilisten angegriffen. Im zweiten Weltkrieg hat die Wehrmacht dieses Vorgehen radikalisiert und einen großen Krieg gegen die Zivilbevölkerung Osteuropas und das europäische Judentum geführt.
Außerdem ist auch Blödsinn, wenn die wirtschaftlichen Interessen von Kriminellen so sehr hervorgehoben werden. Aus welchen Gründen unterstützt die US-Rüstungslobby um Vizepräsident Dick Cheney wohl den Irak-Krieg, wenn nicht aus wirtschaftlichen Gründen? Die Motive dieser Leute unterscheiden sich nicht von denen krimineller Banden.
Und eine Farce ist schließlich auch, wenn „Warlords“ und „Terroristen“ in der Dritten Welt als die bad guys herhalten müssen. Warum reden wir nicht besser über die „Sicherheitsunternehmen“, die im Auftrag der US-Regierung im Irak sind und ihre Geschäftssitze in den großen europäischen und US-amerikanischen Städten haben?
Unterscheidet sich der Irak-Krieg von früheren Kriegen?
Neu ist sicherlich, dass die USA keinen eindeutigen Gegner mehr haben. In Vietnam kämpfte die US-Armee gegen den Vietcong; im Irak gegen eine Vielzahl untereinander verfeindeter Gruppen. Das bedeutet umgekehrt allerdings auch, dass es – anders als in Vietnam – keine Kriegspartei gibt, mit der man sympathisieren könnte. Wer diesen Konflikt auch gewinnt, für die betroffene Bevölkerung ist alles eine Katastrophe.
Außerdem ist auch neu, dass die USA und Großbritannien einen Teil des Kriegs entstaatlicht haben. „Private Sicherheitsdienstleister“, früher hätte man Söldner gesagt, stellen ein großes Kontingent, angeblich 15 Prozent der Besatzungstruppen. Sie sind niemandem politisch unterstellt und bewegen sich in einem rechtsfreien Raum – mit Unterstützung und auf Veranlassung der mächtigsten Staaten der Welt.
Was sind die „asymmetrischen Gefahren“, denen die Bundeswehr im Libanon ausgesetzt ist?
Damit ist etwas Ähnliches gemeint wie mit dem Schlagwort „neue Kriege“: Die Staatsmacht hat es nicht mit einer feindlichen Armee, sondern mit kleinen, schwer zu fassenden bewaffneten Gruppen zu tun, die Bomben gegen zivile Ziele legen und ihre Aktionen medial in Szene setzen.
Auch die Rede von der „Asymmetrie des Kriegs“ ist eine eigenartige Verdrehung der Verhältnisse. An Bombenanschlägen wie New York, London oder Madrid ist sicher nichts sympathisch. Aber die eigentliche Asymmetrie besteht ja darin, dass Macht und Reichtum immer extremer konzentriert sind. Die führenden Staaten haben Jugoslawien oder den Irak zerbomben können, ohne ein einziges Flugzeug zu verlieren.
Auch der Hinweis, dass der Terrorismus seine Gewalt politisch und medial inszeniert, ist heuchlerisch. Die Bombardierung von jugoslawischen Städten durch die NATO ist ebenfalls eine systematisch einschüchternde und inszenierte Gewalt. Auch sie soll Angst und Schrecken hervorrufen und damit Widerstand brechen.
Der Terror ist dem Krieg eingeschrieben. Jede militärische Handlung trägt terroristische Züge.
Wie wird der Krieg der Zukunft aussehen?
Krieg hat natürlich immer schon mit der Entgrenzung von Gewalt zu tun. Trotzdem haben wir es heute mit einer extremen Entwicklung zu tun. Das Gefährlichste sind dabei nicht die Bombenanschläge der letzten Jahre. Das größte Problem ist, dass sich Krieg, Ausnahmezustand und Polizeieinsatz miteinander verbinden. Das Internierungslager in Guantanamo oder die Verschleppung von Menschen durch Polizei- und Geheimdienste (mittlerweile ist bekannt, dass das BKA die Entführungen der CIA mit vorbereitet hat) sind die sichtbarsten Zeichen dafür.
Der War on Terror beinhaltet all das, was dem Terrorismus an Eigenschaften zuschrieben wird: Er ist zeitlich und räumlich unbegrenzt, die Gewaltanwendung ist entregelt, wird als Kriegshandlung durchgeführt, der Krieg aber nicht erklärt. Außen- und Innenpolitik werden vermengt, Militärs im Inneren eingesetzt, äußerer Feind und innerer Gegner ununterscheidbar, im Rechtswesen eine Art „Feindstrafrecht“ etabliert: Wer die bürgerliche Ordnung angreift, so die Argumentation, muss nicht mit Mitteln der bürgerlichen Rechtsordnung bekämpft werden. Der Betreffende wird als Feind behandelt, wird aber gleichzeitig, wie die nach Guantanamo Verschleppten, nicht als Kriegsgefangener behandelt – denn dann wäre er wieder durch Regeln geschützt.
Was die Sicherheitspolitiker heute vorantreiben, ist eine Verbindung von Polizeioperation und Krieg, in der Rechtsgarantien und Grenzen aufgehoben sind. Dieser Ausnahmezustand wird aber nicht allgemein angewandt. Die weiße Mehrheitsbevölkerung, auch die Linke, bekommt ihn kaum zu spüren. Es ist ein Ausnahmezustand, der sehr ausdifferenziert ist: Für unterschiedliche Gruppen und Personen gelten unterschiedlich viel Rechte.
Und: Das Ganze wird mit Argumenten aus dem Mittelalter legitimiert. Im Unterschied zum ‚Kommunismus’ ist der ‚Terrorismus’ kein politischer Gegner, sondern eine ‚Menschheitsgeißel’. Der Krieg gegen ihn ist ‚gerecht’ – so wie früher die Kriege der Christenheit.
Raul Zelik