Wenn Autoren "sich totfreuen"...

Kristof Magnussons Roman „Das war ich nicht“ ist leider ziemlich misslungen

(Rezension für DIE ZEIT 14. Januar 2010)

Mit „Romanen von heute“ ist es oft so eine Sache. Schnell hat der Leser den Eindruck, dass die Elemente des Buchs aufgrund einer vermuteten Relevanz und nicht aufgrund der inneren Dynamik einer Geschichte zusammengesucht wurden. Auch bei Kristof Magnussons zweitem Roman „Das war ich nicht“ stellt man sich bald die Frage, ob hier nicht allzu kalkuliert ein paar große Themen abgehandelt werden sollten. Zu angelegt wirkt die Konstellation: Es geht um den hyperventilierten Wahnsinn des internationalen Finanzwesens, die Einsamkeit der postmodernen Existenz und – wie so oft in der Literatur – den Literaturbetrieb selbst.

Jasper Lüdemann ist Trader für die Bank Rutherford & Gold mit Sitz in Chicago, arbeitet 15 Stunden am Tag und gehört zu jenen Menschen, die immer unüberschaubarer werdende Geldströme im virtuellen Raum bewegen. Zeit für menschliche Beziehungen bleibt da kaum. Meike Urbanski lebt auf der gegenüber liegenden Seite desselben Ich- Universums: Sie ist Übersetzerin, völlig abgebrannt und steckt zu allem Überfluss auch noch in einer Anfang-Dreißiger-Krise. Auf der Flucht vor ihrem Freund, gemeinsamen Bekannten und der neubürgerlichen Betulichkeit des Hamburger Schanzenviertels ist sie auf dem platten Land in Schleswig-Holstein gelandet. Das neu bezogene Häuschen ist kalt, sanierungsbedürftig und trostlos. Der Dritte im Bund schließlich heißt Henry LaMarck, ist um die 60, US-amerikanischer Pulitzer-Preisträger und steckt in einer Schaffenskrise. Vom „Jahrhundertroman“, den er dummerweise in einer Fernseh-Show angekündigt hat, ist noch keine Zeile geschrieben.

Diese drei Personen werden nun aufeinander losgelassen. Urbanski, die LaMarck aus dem Englischen überträgt, wartet sehnsüchtigst auf dessen neues Manuskript, das ihr das ökonomische Überleben sichern soll. LaMarck, der nicht mehr schreiben kann, seit er von seiner Übersetzerin einen Brief mit kritischen Fragen zugeschickt bekommen hat, wird magisch vom Zeitungsfoto eines unbekannten Bankers angezogen, der sich nach einigen Recherchen als Jasper Lüdemann entpuppt. Und diesem wiederum läuft die Übersetzerin Urbanski, die auf der Suche nach dem abgetauchten LaMarck in die USA aufbricht, in einem Chicagoer Coffee-Shop über den Weg. Da in Anbetracht des postmodernen Daseins bekanntermaßen nur die Liebe zählt, entwickeln sowohl LaMarck als auch Lüdemann romantische Gefühle – LaMarck allerdings für den Banker, dieser hingegen für Urbanski. Das klingt nach Comedy, ist in der Ausführung aber nur mäßig lustig: Die Übersetzerin stellt ihrem Schriftsteller nach, der vor ihr flieht, wird ihrerseits von einem vereinsamten Banker verfolgt, hinter dem wiederum der schwule Schriftsteller her ist.

Da es sich um einen „Roman von heute“ handelt, wird das Ganze von der überdrehten Dynamik der Finanzmärkte angetrieben. Jasper Lüdemann handelt mit Derivaten, das heißt, er spekuliert auf Kursbewegungen. Auf diese Weise lassen sich selbst mit Kursverlusten große Gewinne machen. Leider ist aber auch das Gegenteil möglich: Überraschend befördert darf Lüdemann plötzlich größere Geldmengen bewegen. Um den Fehler eines Mitarbeiters auszubügeln, beginnt er ungedeckte Geschäfte zu machen, die ursprünglich geringe Verluste zu einem gestandenen Banken-Crash auswachsen lassen. Die Hebelwirkung der Derivate hebelt sozusagen am Ende die ganze Großbank aus. Hier haben offensichtlich der Fall des jungen Börsenhändlers Jerôme Kerviel und die Pleite der französischen Bank Société Générale als Vorlage gedient.

Es ist nun sicher keine uninteressante Idee, die fantastischen Umgereimtheiten der globalen Wertfinanzmärkte zum literarischen Stoff zu machen. Vom absurden Drama, über magischen Surrealismus bis hin zu Trash-Klamotte ist hier vieles denkbar. Auch dass sich Magnusson seines Stoffs nicht immer ganz sicher zu sein scheint – er spricht von der Finanzkrise, behandelt aber den Fall der Société Générale, der mit der Krise nur am Rande zu tun hatte –, kann kein grundsätzliches Argument gegen das Buch sein. Und selbst mit den unmotiviert daher kommenden Handlungswechseln, etwa wenn der Schriftsteller LaMarck vor seiner Übersetzerin zu Elton John (sic!) nach London flüchten will, dann aber doch ausgerechnet den Flieger nach Deutschland nimmt, ließe sich leben.
Das große Problem von Magnussons Roman ist seine Sprache. Einem jungen Banker mag man es noch abnehmen, dass er hölzern, ungelenk, geschwätzig spricht. Aber einer Übersetzerin und einem Schriftsteller? Und was noch schwerer wiegt: Warum reden alle drei Ich-Erzähler des Romans gleich? Zugegeben: Auch renommierte Literaten können seltsame Stilblüten hervorbringen, aber Magnussons Schriftsteller sagt wirklich grauenvolle Sätze: „Jedes s vollführte eine scharfe Kurve, die ausladenen Bögen eines jeden g schlugen mir wie Baseballschläger Worte aus dem Drahtgewirr der Schrift entgegen“. Oder ein paar Seiten später: „Ich trank mit hermeshafter Geschwindigkeit und der Gewissheit, in weniger als einer halben Stunde betrunken zu sein“.

Mit "hermeshafter Geschwindigkeit" davon eilen möchte man auch bei so manchem Dialog – etwa wenn der deutsche Verleger, der zum glücklichen Ende – natürlich völlig unvermittelt – bei „Meike Urbanski, lit. Übersetzerin“ an der Haustür klingelt, seiner Honorarkraft verkündet: „Du glaubst gar nicht, wie viele Autoren sich totfreuen würden, wenn du sie übersetzt. Wir haben gerade einen neuen Inder. Inder gehen zurzeit total gut.“ Ja, der Literaturbetrieb ist bisweilen hirnlos. Aber so unkomisch blöd wie dieser Verleger ist er denn doch nicht. Die gequälte Ironie fällt hier auf Magnusson selbst zurück.
Für sein Debüt „Zuhause“ wurde Magnusson von vielen Seiten gelobt. „Das war ich nicht“ ist nun eher eine Enttäuschung. Aber vielleicht ist es dem Roman auch einfach so ergangen wie so vielen Texten „von heute“. Zu schnell produziert, zu wenig bearbeitet.

Raul Zelik

Kristof Magnusson: „Das war ich nicht“, Verlag Antje Kunstmann

 

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