Rezension von Matias Faldbakken: The Cocka Hola Company
Skandinavische Misanthropie: Schon die programmatische Unterzeile des Roman-Titels zeigt, wo die Reise hingehen soll. Die geballte Energie von „The Cocka Hola Company“ – und das ist einige – zielt darauf ab, einem die Unerträglichkeit, oder besser: Nervigkeit menschlicher Beziehungen vor Augen zu führen, ohne dabei Larmoyanz oder Schwere aufkommen zu lassen.
Der 1973 geborene norwegische Autor Mathias Faldbakken hat seltsames Personal in seinem Roman versammelt. Auch nach 450 Seiten Lektüre ist man sich nicht sicher, ob es sich nun um rücksichtslose Arschlöcher oder wirklich, wie im Klappentext behauptet, postmoderne Rebellen handelt, die planlos, aber dafür umso entschlossener nicht ‚mitzumachen’ versuchen (was immer das heißen mag).
Unumstritten ist nur: Es handelt sich um Mitarbeiter von DESIREVOLUTION, einer Art Think-Tank, der sich zum Ziel gesetzt hat, Verwerfliches zu konzipieren. Sympathisch ist das insofern, als man auf in-Wert-gesetzte Freundlichkeiten verzichtet und sich untereinander zwar weitgehend mit Desinteresse, aber wenigstens einem gewissen Respekt begegnet. Hauptprotagonist Simpel, der die Story schließlich an die Wand fahren darf, und PapaHans leiten die von DESIREVOLUTION betriebene Pornoproduktion. Ein Familienbetrieb: Simpels Frau Motha und PapaHans’ Sohn Casco sind die Hauptprotagonisten des eher schlicht gehaltenen Kulturschaffens und verbringen ihre Zeit, wenn sie gerade nicht kopulierend vor der Kamera stehen / knien / liegen, damit, sich Drogen einzupfeifen. Lonyl, seines Zeichen verhaltensgestörter siebenjähriger Sohn von Simpel und Motha, ist ein würdiges Produkt der Anti-Pädagogik, hat sich schon früh in der Stadt einen Namen als Tagger gemacht und konzentriert sich darauf, Lehrerinnen psychiatrischer Behandlung zuzuführen. Ritmeester, Ideologe und Gehirn der Gruppe, widmet sich seit einigen Jahren einem interessanten Experiment: Er hat sich zu Hause eingeschlossen, redet mit niemandem mehr und ernährt sich von Weißbrot. Und auch Speedo führt einen Selbstversuch durch: Obwohl eigentlich Abstinenzler hat er sich dem Alkoholismus verschrieben und kippt – der mangelnden Suchtdisposition zum Trotz – wahllos Spirituosen in sich hinein. Dass Sex in diesem Freundeskreis für eher bedeutungslos oder gar abstoßend gehalten wird, versteht sich von sich selbst.
Stattdessen konzentriert man seine Energie darauf, das eigene angewidert Sein in Aktionen umzusetzen. Diese Haltung kulminiert schließlich in einer durchaus als väterlich zu bezeichnenden Tat. Als Schulpsychologe Dr.Berlitz und Erzfeind des siebenjährigen Lonyl den Jungen bei seinen Eltern denunziert und der Familie zur Lektüre von Erziehungsratgebern rät („Wenn Gedanken zu Zwang werden: Kinder und Jugendliche mit Zwangssymptomen“, „Das Puppenspiel in der Kinderpsychotherapie“, „Ein Haus der Helfer? Zur stationären Behandlung von Kindern“ ...), erwacht bei Vater Simpel wenn schon kein Beschützer-, so doch zumindest ein Racheinstinkt. Ohne zu zögern, bestraft Simpel den Schulpsychologen Dr. Berlitz, indem er dessen Frau Monica B. Lexow den Bauch tätowiert. Die leicht blasierte Textildesignerin Lexow ist zunächst ganz begeistert, als Simpel in der Rolle des Galeristen bei ihr im Atelier aufkreuzt und Interesse für ihre Kunstwerke zeigt, das heißt heuchelt. Zielstrebig lässt sie, die Kreative, sich betrunken machen und stellt schließlich erst nach dem Aufwachen aus der Narkose entsetzt fest, dass der Schriftzug Fascination auf ihrem Bauch eingelassen worden ist. Nun gehört die stellvertretende Bestrafung des Mannes durch Gewalt gegen die Frau zweifellos zum Ekelhaftesten, was 5000 Jahre Patriarchatsgeschichte hervorgebracht haben, und wird auch dadurch nicht besser, dass Textildesignerin Lexow vor Narkose und Tätowier-Session durch dummes Reden und Fasziniert-Sein (!) glänzt. Doch zur Verteidigung von Autor Faldbakken muss auch gesagt werden, dass positive Helden ausdrücklich nicht zum Repertoire dieses Romans gehören. Wenn Simpel sich trotz guter Gründe wie ein Arschloch verhält, ist das nur folgerichtig. Er ist ja auch eins.
Die Freude währt indes nur kurz. Nach einer Adventsfeier von Lonyls Schulklasse wird Simpel zufällig enttarnt. Die ganze Firma droht aufzufliegen. Der Porno-Produzent und Sex-Abstinenzler ergreift die Flucht nach vorn. In einer Fernseh-Talkshow legt er das Konzept von DESIREVOLUTION offen und übt sich in Publikumsbeschimpfung. Es kommt, wie es kommen musste: Die Zuschauer sind begeistert. Die angebliche Anti-Konventionalität erweist als absolut mainstream-kompatibel.
Es ist wahr, dass zynisches Schreiben schnell ins Faschistoide kippen kann. Die ästhetisierte Menschenverachtung gebiert Vernichtungsphantasien. Doch Faldbakken kriegt immer wieder knapp die Kurve. Er erzählt die Geschichte seiner Gruppe so komisch und letztlich doch irgendwie menschelnd, dass man beim Lesen von seiner aufrichtigen Aufsässigkeit sofort angesteckt wird. Und dass das DESIREVOLUTION-Projekt, sich den Verhältnissen ausgerechnet durch Sexfilme und Anti-Spießer-Attacken zu verweigern, letztlich scheitert, macht denn auch den letzten großen Einwand gegen das Buch zunichte. Das Renitenzvorhaben endet mit der vorsehbaren Wiedereingemeindung in die Verhältnisse. Oder genauer: Die Akteure haben die Verhältnisse nie verlassen. Mit dieser kleinen Wendung am Schluss gelingt es Faldbakken, der bloßen Attitüde doch noch zu entkommen. Die Rebellion von DESIREVOLUTION entpuppt sich als das, was sie die ganze Zeit war: eine Farce. Und das ist doch wiederum sehr sympathisch: Dass man seine Helden nach 460 Seiten grandios scheitern lässt.
Dem jungen Münchner Blumenbar-Verlag schließlich gilt ein großes Lob. Nach FX Karls Memomat hat er mit Cocka Hola Company erneut einen großartigen Roman vorgelegt, der dem Begriff ‚Popliteratur’ wieder Sinn und Haltung verleiht.
Matias Faldbakken: The Cocka Hola Company, blumenbar-verlag, 464 Seiten, 24 Euro
Raul Zelik