plan bVor dem Hintergrund von Klimawandel und Finanzkrise scheint vielen klar, dass es grundlegender Veränderungen bedarf. Doch wie könnten ökologische, soziale und demokratische Transformationen aussehen? Und wie kann gesellschaftlicher Druck aufgebaut werden, um solche Veränderungen auch politisch durchzusetzen?

Um das zu debattieren, trafen sich AktivistInnen aus sozialen Bewegungen, Gemeinderäte und  Abgeordnete der LINKEN am 26. und 27. Oktober zur Konferenz PLAN B (hier gehts zum offenen Debattenforum) in Berlin.

Vortrag vom 27. Oktober

Eigentlich soll ich hier heute das Strategiepapier ‚Plan B‘, in dem ökologische und demokratische Reformansätze durchdekliniert werden, kritisch-konstruktiv kommentieren. Aber ich möchte, obwohl ich diese Diskussion interessant und wichtig finde, allgemeiner anfangen.

Das Problem ist ja nicht, dass Linke keine Konzepte oder konkreten Ideen hätten, wie es anders laufen könnte. Das Problem ist, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse bestimmte Veränderungen verhindern. Es ist möglich, Hunderte Milliarden Euro bereit zu stellen, um privates Finanzkapital zu retten; aber es ist nicht möglich, mit einer viel geringeren Summe, für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr oder eine autofreie Stadt zu sorgen. Riesige Flugplätze können von der öffentlichen Hand gebaut werden, eine massive Förderung genossenschaftlicher Wohnungsprojekte mit Steuergeldern hingegen ist unmöglich.

Worum geht es also?

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„Kapitalismus heißt Krise“ lautet ein bekannter Demo-Slogan der letzten Jahre. Das ist nicht falsch, taugt aber trotzdem nicht recht zur widerständigen Parole. Denn es ist ja gerade die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, die diesen in der Vergangenheit so anpassungs- und überlebensfähig gemacht hat. Krisen sorgen dafür, dass sich Herrschaftsverhältnisse permanent verändern und gesellschaftlicher Widerstand immer wieder neu in den Kapitalismus eingeschrieben werden kann. Wenn der Kapitalismus den Staatssozialismus überlebt hat, dann nicht zuletzt deshalb, weil Krisen Teil der liberalen Gouvernementalität sind. Die bürgerliche Gesellschaft handelt in den Krisen neue Formen der politischen Regulation aus, es werden neuen Produktionsmodelle durchgesetzt.

Dass wir als Linke heute – in der wahrscheinlich tiefsten und systemischsten Krise der letzten hundert Jahre – keine klarere Transformationsperspektive besitzen, hat auch damit zu tun. Die sozialistische Bewegung – sowohl in ihrer reformistisch-sozialdemokratischen als auch in ihrer revolutionär-leninistischen Variante – ging im 19. und 20. Jahrhundert davon aus, dass der Kapitalismus durch seine inneren Widersprüche und Krisen zur Selbstaufhebung getrieben wird. Das begründete die Attraktivität der sozialistischen Bewegung: Sie hatte eine klare Befreiungsperspektive. Die Geschichte schritt aufgrund von Widersprüchen voran, es gab einen klar benennbaren Akteur und ein eindeutiges Ziel. Sprich: Die Klassenkämpfe waren der Motor der Geschichte, die Arbeiterklasse ihr Subjekt, Befreiung bedeutete Befreiung von der Lohnarbeit und Selbstabschaffung des Proletariats.

Diese Grundthese, die als wissenschaftlich verbürgte Gewissheit verstanden wurde, besaß – und das ist Teil unseres Problems heute – einen religiösen Kern. Denn bei Hegel, von dem die Idee der Geschichtsdialektik stammt, schreitet die Geschichte nur deshalb voran, weil sich im Fortschritt ein höherer Geist materialisiert. Heute sind wir atheistischer und schlauer: Geschichte besitzt keine höhere Funktion. Eine Tendenz zur Emanzipation ist nicht vorgegeben, Befreiung muss inhaltlich bestimmt und erkämpft werden.

Das bedeutet aber auch, dass der aktive Bruch mit den Verhältnissen nötiger ist denn je. Gerade heute, wo wir in Anbetracht der staatssozialistischen Geschichte nicht mehr so recht sagen können, was ‚Revolution‘ – jenseits des großen geschichtlichen Bruchs – bedeutet und wie sie sich entfalten könnte, benötigen wir sie dringender denn je. Denn der sich in den Krisen erneuernde Kapitalismus ist in der Lage, fast jeden Protest, jede emanzipatorische Regung als Modernisierungsimpuls in sich einzubauen und gegen die Revoltierenden zu wenden. So entwickelte sich aus dem Wunsch nach Selbstbestimmung, Kreativität und Spontaneität, wie ihn die Jugend- und Subkulturbewegungen der 1970er Jahre artikulierten, das neoliberale Ich-Unternehmertum. Das Aufbegehren gegen die weibliche Hausarbeitsrolle zog die Geburt einer neuen Dienstleistungsökonomie von Essen, Putzen und Pflege nach sich. Aus den Widerständen gegen die Disziplinargesellschaft ergab sich eine grenzenlose Verflüssigung der Lebensbiografien und so weiter ...

Aber warum reicht es eigentlich nicht, den Kapitalismus immer wieder zu reformieren? Sind die genannten Transformationen oder die im Plan B formulierten Projekte der Zukunft– Energiewende, betriebliche Demokratisierung, organische Landwirtschaft usw.– nicht schon die Veränderungen, die die Verhältnisse besser und lebenswerter machen?

Die Beispiele oben zeigen, dass auch Veränderungen, die hart erkämpft werden mussten, die Verhältnisse nicht unbedingt lebenswerter machen, sondern bisweilen die Herrschaftsverhältnisse bisweilen auch einfach nur intensivieren. Kreativität und Spontaneität sind auf diese Weise selbst Teil der Zwangsverhältnisse geworden.

Wie kann das sein? Das Problem ist, dass die Transformationen, die im Kapitalismus immer möglich sind, einen entscheidenden Zusammenhang nicht berühren dürfen: Es muss weiterhin Kapital akkumuliert werden, und der Markt bleibt – wie Foucault in seiner Kritik des Ordoliberalismus („Zur Geburt der Biopolitik“, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 2005) geschrieben hat – dabei der Ort, der die Wahrheit verkündet, der sagt, was falsch und richtig ist.

Das impliziert zweierlei: Zum Einen, dass jede emanzipatorische Veränderung –Selbstbestimmung, Umweltschutz, betriebliche Mitbestimmung – im Kapitalismus eine Fremdfunktion zu erfüllen hat. Veränderungen können sich durchsetzen, wenn sie zumindest mittelfristig dazu beitragen, die Verwertung zu intensivieren. Jeder „Fortschritt“ – ein schwieriges Wort – dient im Kapitalismus deshalb immer in erster Linie der Akkumulation. Und das ist auch der Grund, warum wir uns trotz aller Selbstverwirklichung heute immer fremdgesteuerter fühlen und es tatsächlich auch sind. Wir sind die Zombies, die Untoten, dieses Systems, das uns (fast) alles machen lässt und gerade dadurch völlig beherrscht.

Diese Aneignung von Widerständigkeit verläuft – und das ist wichtig zu begreifen – ganz anders als im Staatssozialismus. Wenn in der Sowjetunion von Rätedemokratie die Rede war, dann wusste jeder, dass es sich dabei um rhetorisches Blabla handelte. Im Kapitalismus ist das alles keineswegs rhetorisch gemeint. Wir sollen wirklich kreativ, spontan, autonom, selbstbestimmt, kommunikativ, sozial und nachhaltig sein. Nur eben im Dienst der Verwertung.

Zum Anderen bedeutet das aber auch, dass es bei aller Integrationsfähigkeit im Kapitalismus Grenzen der Transformation gibt.
Sicher, es sind auch Dinge gesellschaftlich durchgesetzt, die nicht zur Wertmehrung beitragen – man respektiert zum Beispiel das Mobilitätsrecht von Behinderten oder verzichtet auch einmal auf die Bebauung besonders artenreicher Naturräume. Doch solche Begrenzungen der Verwertung bleiben peripher. Schauen wir uns an, wie heute die Energiewende vorangetrieben wird. Die Bundesregierung forciert sie nicht zuletzt deshalb, weil sich hier ein Wachstumsmarkt eröffnet, auf dem sich deutsche Technologieunternehmen neu positionieren können. Umweltschutz ist okay, weil er sich in Wert setzen lässt.

Aber was ist mit einem Umweltschutz, der sich nicht in Wert setzen lässt? Eine ökologische Wende, die auf ein Ende des Wachstums abzielt, ist im Kapitalismus faktisch unmöglich. Und das scheint mir auch der entscheidende Einwand gegen die neuen sozialliberal-ökologischen Konzepte zu sein: i) Der Green New Deal kann nicht wirklich nachhaltig sein, weil er weiterhin auf Wachstum setzt und sich Natur – anders als monetäre Werte – nicht ausdehnen lässt. ii) Das Nullwachstum hingegen, wie es auch von einigen konservativen Wirtschaftswissenschaftlern mittlerweile befürwortet wird, unterbricht die Kapitalvermehrung und würde auf nicht weniger als ein Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hinauslaufen. (Dieses Ende muss im Übrigen keineswegs unter sozialistischen Vorzeichen stattfinden, denn es kann immer auch noch schlimmer kommen; z.B. können quasi-feudale Herrschaftsformen massiv zurückkehren – was dann wiederum das Interesse einiger Konservativer an Nullwachstumsvorstellungen erklären könnte).

Sicherlich ist der Akkumulationszwang nicht das einzige gesellschaftliche Beziehung, die es zu verändern gilt. Das Naturverhältnis im Staatssozialismus war genauso kaputt wie das im Kapitalismus; schon allein deswegen kann es nicht reichen, nur über den Kapitalismus zu reden. Wir müssen das Naturverhältnis der Moderne allgemein in Frage stellen (und natürlich gibt es auch Macht- und Normierungsverhältnisse, die sich nicht aus der Verwertungslogik ableiten). Wenn ich trotzdem auf dem Akkumulationszwang herumreite, dann deshalb, weil dieser besonders hinterhältig ist: still, subjektlos, subtil. Er formt und verformt die gesellschaftlichen Verhältnisse unabhängig vom Willen der Akteure.
Wenn es uns nicht genügt, dass gesellschaftliche Projekte, die hart erkämpft werden (wie z.B. die Energiewende), einfach nur eine neue Wertschöpfungsspirale in Gang setzen, dann müssen wir diesen besonderen Charakter des Akkumulationszwangs verstehen.

Das wäre die zentrale Frage, auf die wir – meiner Meinung nach – emanzipatorische Politik befragen sollten: Trägt eine Bewegung, ein Gesetz, eine Reform dazu bei, den Zwangsmechanismus der Verwertung wenigstens lokal außer Kraft zu setzen, oder ermöglicht die Bewegung, das Gesetz, die Reform im Gegenteil neue Formen der Inwertsetzung? Das Gemeine ist, dass sich das meistens nicht eindeutig unterscheiden lässt. Die Übergänge sind fließend. Betriebliche Mitbestimmung wurde einst als ein Schritt Richtung sozialer oder Rätedemokratie erkämpft – sie war ein Ansatzpunkt für die gesellschaftliche Kontrolle der Ökonomie. Heute – nicht erst seit den VW-Betriebsrats-Skandalen – wissen wir, dass sie auch ein effizientes Mittel zur Einbindung der Belegschaften, zur Erhöhung der Produktivität, zur Bürokratisierung und Korrumpierung der Gewerkschaften war. (Und diese Erfahrung wiederholt sich heute ganz ähnlich auch bei den so genannten Bürgerhaushalten. Linke Kommunalregierungen erprobten diese Partizipationsmodelle erstmals in den 1980er Jahren in Lateinamerika. Mittlerweile jedoch dienen diese Bürger- und Partizipationshaushalte in vielen lateinamerikanischen Städten vor allem dazu, eine effizientere, schlankere Kontrolle der Stadt zu ermöglichen und eine neoliberale Governance zu etablieren.)

Vor diesem Hintergrund geht es meiner Meinung nach also nicht einfach um sozial-ökologische Transformationen, wie der Titel der Konferenz formuliert – wir sollten auch immer über antikapitalistische Strategien, über Macht und Gegenmacht reden. Doch daran schließt sich natürlich die nächste Frage an: Was soll das sein – eine antikapitalistische Strategie?

In der sozialistischen Linken – auch das verband Sozialdemokraten, Leninisten und Stalinisten viel eng miteinander, als es den Beteiligten klar war – wurde Transformation stets über den Staat gedacht. Die Strategiedebatten kreisten um die Frage, wie man den Staat erobern und für das eigene Projekt nützen kann. Die Sozialdemokraten hofften auf einen bruchlosen Übergang auf parlamentarischem Weg, der Leninismus setzte auf die revolutionäre Entscheidung. Für beide war Befreiung damit in erster Linie ein Verwaltungsprojekt, das vom Staat dirigiert wurde.

Die staatssozialistischen Revolutionen haben ihre Befreiungsversprechen nicht realisiert. Aus den revolutionären Staaten erwuchsen neue Herrschaftsformen: autoritäre Polizei- und Kommandogesellschaften, die auch dadurch nicht besser werden, dass die bürgerliche Kritik an ihnen heuchlerisch ist.

Aber auch dem Reformismus ist es nicht besser ergangen. Der bürgerliche Staat hat ihn einfach assimiliert. Der Marsch durch die politischen Institutionen, die ja immer auch Klientelapparate sind, hat nicht in erster Linie das System, sondern die Marschierer verändert. Der Reformismus – Ende des 19. Jahrhunderts durchaus noch ein ehrenwertes Projekt der Transformation – existiert heute nicht mehr. Wenn heute von Reformen die Rede ist, dann im Zusammenhang neoliberaler Modernisierung. Sozialdemokratische Reformen gibt es nur noch in zwei oder drei linksregierten Ländern Südamerikas, wo man allerdings auf revolutionäre Rhetorik zurückgreifen muss, um Reformen durchsetzen zu können. Ein unübersichtliche Lage ...

Aber was bleibt dann, wenn anscheinend weder die sozialistische Revolution noch der sozialdemokratische lange Atem ans Ziel führt? Muss man die Gesellschaft von unten – von den Landkommunen, Genossenschaften, Alltagspraktiken aus – ändern, wie es Anarchisten, Basisaktivisten und nicht zuletzt auch die Christenheit seit Langem propagieren? Ich glaube nicht, dass das allein eine erfolgversprechende Strategie sein kann. Eine politische Praxis, die den Staat ignoriert, bewegt sich – ungewollt – im Fahrwasser des Neoliberalismus. Dazu kommt außerdem, dass der Kapitalismus in vieler Hinsicht dann auch wieder ganz wunderbar mit Inseln des nicht-kapitalisierten Lebens koexistieren kann. Ist doch schön, wenn Leute ihre Armut selbst verwalten.

Um die Frage beantworten zu können, wie sich der Kapitalismus überwinden lässt, müssten wir uns vielleicht erst einmal darüber verständigen, was ihn auszeichnet und wie er entstanden ist. Ein ganz wichtiger Punkt erscheint mir hier folgender: Der Akkumulationszwang, der als stille Hand alle Prozesse in unserer Gesellschaft leitet, wurde nie per Regierungsdekret beschlossen und kann dementsprechend auch nicht einfach „abgeschafft“ werden, wie es bei vielen Linken bisweilen anklingt. Der Kapitalismus ist eine gewachsene Form sich selbst verstärkender Herrschaft, der dementsprechend durch eine Gegenbewegung verdrängt werden muss. Im Mittelpunkt müsste dabei die gesellschaftliche Aneignung stehen, in der die subalterne Mehrheit – die Leute ‚unten‘ – eine demokratische Kontrolle gegen die bedingungslose Inwertsetzung erlangen. Doch wie könnte das gehen?

David Harvey US-amerikanischer Theoretiker beschreibt den Kapitalismus als ein  „Ensemble“, das sich historisch aus mehreren Momenten entwickelt hat: „a) Technologische und organisatorische Formen der Produktion, des Austauschs und der Konsumtion, b) Beziehungen zur Natur, c) gesellschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen, d) geistige Vorstellungen von der Welt (...), e) Arbeitsprozesse und die Produktion bestimmter Güter, Geografien, Dienstleistungen oder Affekte, f) institutionelle, rechtliche und staatliche Arrangements, g) die alltägliche Lebensführung, auf der die gesellschaftliche Reproduktion beruht.“ (2010: 13)

Harvey ist der Ansicht, dass antikapitalistische Transformation in jedem dieser Einzelaspekte und im Gesamt-Ensemble organisiert werden muss. Dabei kann, wie er sagt, „eine antikapitalistische Bewegung von jedem dieser Punkte ausgehen (...). Die Kunst besteht darin, die politische Bewegung abwechselnd auf die verschiedenen Momente auszurichten, sodass sie sich wechselseitig verstärken.“ (ebda)

Wenn Harvey recht hat, dann geht es um einen radikalen Perspektivwechsel, aber nicht unbedingt darum, linke Politik neu zu erfinden. Der Perspektivwechsel bestünde darin, dass der Staat seine Zentralität für sozialistische Politik verliert. Erik Olin Wright, ein weiterer US-amerikanischer Linker, den ich sehr lesenswert finde, schlägt vor, die gesellschaftlichen Verhältnisse auf der Grundlage des Dreiecks ‚Staat, Wirtschaft (er meint, natürlich Kapital) und Gesellschaft‘ zu interpretieren. Für Wright ist Sozialismus jene Bewegung, durch die die Gesellschaft ihre Kontrolle über Kapital und Staat – und auf Kosten von diesen – ausweitet.

Wright interessiert sich für alle Praxisformen, die diese Aneignung ausdrücken – er ist dabei manchmal nervtötend pragmatisch und feiert Modelle ab (z.B. öffentliche KITA-Plätze), die in den USA vielleicht eine Verbesserung darstellen mögen, in Europa aber längst Normalität und Teil der Sozialtechnologie sind. Daran sieht man wiederum, dass sozialer Fortschritt immer auch eine Frage des Ausgangspunktes und der augenblicklichen Konstellation ist .

Trotzdem gefallen mir die Überlegungen Harveys und Wrights: Sie sind radikal staatskritisch, aber nicht anarchistisch – denn sie betonen die Notwendigkeit, institutionelle und rechtliche Arrangements zu verschieben. Sie insistieren darauf, dass Emanzipation ein Prozess der Gegenmacht ist, haben dabei aber nicht nur die großen Brüche vor Augen (die politische Revolution), sondern auch die kontinuierlichen Verschiebungen. Und sie lenken den Blick auf das Problem der Strategie: Dieser demokratische Aneignungsprozess ist nicht spontan, sondern muss organisiert und strategisch verstärkt werden – nicht von einer erleuchteten politischen Avantgarde, aber doch unter Beteiligung von Organisationen, die im Sinne Rosa Luxemburgs Vorschläge entwickeln und zur gesellschaftlichen Diskussion stellen.

Die zentrale Frage wäre also, ob Einzelansätze – z.B. die Vorschläge im Plan B – zu einem gesellschaftlichen Prozess der demokratischen, sozialistischen, communistischen Aneignung beitragen oder nicht. Unsere Antworten werden sicherlich unterschiedlich ausfallen, aber vielleicht können wir uns über dieses Kriterium der strategischen Debatte verständigen. Trägt eine Reform, eine soziale Bewegung, eine Alltagspraxis ... dazu bei, die gesellschaftliche Kontrolle über Arbeit, Produktion, Verteilung, Konsum, Reproduktion, das gesellschaftliche Leben im Allgemeinen zu erweitern? Setzt sie der Kapitalverwertung Grenzen und drängt das stille Zwangsverhältnis unserer Gesellschaft ein Stück zurück? Und vor allem konkret: Setzt sie etwas in Gang, trägt sie dazu bei, dass Menschen sich organisieren, kritisch werden, ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen?

Emanzipation bedeutet nicht, ein Land besser zu regieren. Emanzipation bedeutet Selbstbefreiung. Unsere Aufgabe als Linke, kleingeschrieben, ist es, Bedingungen für diese Selbstbefreiung zu schaffen und zu verbessern.

Raul Zelik ist Schriftsteller und Professor für Politik an der Nationaluniversität Kolumbiens in Medellín. Unlängst erschien sein neuer Roman „Der Eindringling“ in der Edition Suhrkamp.

 

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