(Interview für die Münchner Zeitschrift Hilfe)

Heo Eun-Yeung ist Mitglied der„Nationalen Koordination der Arbeitsorganisationen“, einem Zusammenschluß von 50 betrieblichen Basisgruppen. Diese entstanden in den 80er Jahren, als gewerkschaftliche Organisierung in Südkorea noch völlig illegal war, und besitzen bis heute erheblichen Einfluß auf die südkoreanischen Arbeitsskämpfe. Die Besetzungen bei Hyundai und Mandoo im Sommer wurden ebenso von den Arbeitsplatzorganisationen initiiert wie der Generalstreik Anfang 1997. Die Arbeitsplatzorganisationen stehen für das Konzept einer politischen Organisierung im Betrieb. Zum Gewerkschaftsdachverband KCTU haben die Arbeitsplatzorganisationen ein kritisches, aber nicht unsolidarisches Verhältnis.

 

In Deutschland ist die südkoreanische Organisationslandschaft nicht ganz nicht einfach zu verstehen. Worin unterscheiden sich die Arbeitsplatzorganisationen von Gewerkschaften?

Gewerkschaften sind im Prinzip anerkannte Organisationen mit einem legalen Status, bei denen jeder unabhängig von der politischen Einstellung Mitglied werden kann. Ich sage <im Prinzip>, weil der südkoreanische Dachverband KCTU von der Regierung zwar als Gesprächspartner anerkannt wird, aber immer noch nicht legalisiert worden ist. Bei den Arbeitsplatzorganisationen gibt es dagegen Einschränkungen der Mitgliedschaft. Es ist Bedingung, daß man sozialpartnerschaftliche Beziehungen mit den Unternehmen ablehnt. Als Beispiel könnte man die Diskussionen während der Krise beim Autohersteller KIA anführen: Die einen sagten „laßt uns KIA retten“, wir haben gesagt „laßt uns die Arbeiter retten“.

Ein weiterer Unterschied ist, daß Entscheidungsvollmachten in den Gewerkschaften nach oben delegiert werden. In den Arbeitsplatzorganinsationen dagegen gibt es zwar gewählte Sprecher, aber Beschlüsse können nur von den Versammlungen der Komittees gefällt werden. Außerdem geht es den AOs nicht vorrangig um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Wir kämpfen zwar auch für konkrete Veränderungen, aber im Vordergrund stehen langfristige Ziele und vor allem das Bewußtsein der Belegschaften.

Seit Anfang der 90er sind die Arbeitsplatzorganisationen schwächer geworden. Die Bewegung hat sich institutionalisiert.

Das fällt mit dem Entstehen des Gewerkschaftsverbandes KCTU zusammen. Dieser wurde 95 gegruendet, sein Vorläufer Cheon-No-Hyup 1992. Ich kann mir vorstellen, daß Euer Verhältnis zum KCTU kompliziert ist. Einerseits sind dort viele alte Aktivisten, aber andererseits verfolgt der Dachverband ähnlich wie der DGB in Deutschland eine weitgehend sozialpartnerschaftliche Politik.

Ja, es gab viele Spaltungen in den letzten Jahren. Wir haben heute ein kritisches Verhältnis zum KCTU, aber wir arbeiten auch mit ihm zusammen, wenn es um die Verteidigung bestimmter Standards geht. Der KCTU hat den Arbeitsplatzorganisationen außerdem den Vorschlag gemacht, sich in ihn zu integrieren. Aber wir glauben, daß es für die Arbeiterbewegung besser ist, wenn wir unsere Autonomie bewahren.

Der KCTU gilt im Ausland als kämpferischer Gewerkschaftsverband.

Dieses Image hat er 1997 beim Generalstreik bekommen. Aber die Vorbereitungen für diesen Streik wurden nicht vom KCTU, sondern von unabhängigen Basisgruppen getroffen. Mitte 1996 machte die rechte Kim Young-Sam-Regierung dem KCTU den Vorschlag, ein „Komitee zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital“ , so etwas wie das „Bündnis für Arbeit“ zu gründen. Die Gewerkschaft ist zwar illegal, aber die Regierung sah ein, daß sie den KCTU nicht ignorieren konnte.

In den Gewerkschaften war das Bündnis stark umstritten. Die Gewerkschaftsspitze konnte es bei der Basis nur durchsetzten, indem sie sich gleichzeitig verpflichtete, einen Generalstreik gegen die Revision der Arbeitsgesetze vorzubereiten. Der Beschluß wurde nur halbherzig umgesetzt. Erst als die Regierung das Gesetzespaket Ende 1996 im Parlament in wenigen Stunden durchpeitschte und in vielen Betrieben schon gestreikt wurde, rief auch der KCTU den Streik aus. Das war mehr eine Reaktion auf die Radikalisierung in der südkoreanischen Arbeiterbewegung als ihre Ursache.

Kann man einer Gewerkschaft vorwerfen, auf die gemäßigteren Teile der Belegschaften Rücksicht zu nehmen? Schließlich muß eine Gewerkschaft die Gesamtheit ihrer Mitglieder repräsentieren.

In den Betrieben war im Dezember 1996 schon alles klar. Immerhin wurde mit der neuen Arbeitsgesetzgebung die Existenzberechtigung der Gewerkschaften insgesamt in Frage gestellt.

Die Gewerkschaftsspitze unternahm jedoch alles, um den Streik zu demobilisieren. Nach 20 Tagen Generalstreik änderte man die Linie. Man machte nur noch einmal die Woche Aktionen, weil man die Konzerne nicht treffen wollte. Immerhin seien diese, so die Argumentation des KCTU, nicht für die Gesetzesvorhaben der Regierung verantwortlich. Damit wurde der Bewegung das Rückrad gebrochen.

 

Man sagt, die Protestbewegung sei nach dem Generalstreik Anfang 1997 schwächer geworden...

Nach dem Streik wurden viele Arbeitsplatzorganisationen aufgelöst. Der KCTU wurde offiziell anerkannt - obwohl er immer noch illegal ist -, und das neue Arbeitsgesetz wurde bis auf leichte Korrekturen durchgesetzt. Andererseits hat sich unsere Koordination überhaupt erst als Gegenposition auf die neue Sozialpartnerschaft zwischen Konzernen und KCTU gegründet. Das mit der Schwächung muß man differenzierter sehen: Manche Gewerkschaften und Arbeitsplatzorganisationen haben gemäßigte Positionen eingenommen, bei anderen hat die Existenzangst zu einer Radikalisierung geführt.

Seit Sommer 1998 gibt es Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen, die sich gegen das IWF-Programm und die Rationalisierungsmaßnahmen richten. Es heißt, daß in den nächsten Jahren Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut werden sollen. Im Januar wurde auch bei Daewoo gestreikt.

Nach der Amtsübernahme von Präsident Kim Dae-Jung (galt früher als Linksliberaler, Anm.d.Red.) letztes Jahr gab es ein „Bündnis für Arbeit“, an dem sich auch der KCTU bis vor kurzem beteiligte und in dessen Rahmen er nach Ausbruch der Krise sogar die Entlassungspläne akzeptierte.

Der Konflikt eskalierte daraufhin bei im vergangenen Sommer Hyundai, wo die Arbeitsplatzorganisationen jeden Kompromiß ablehnten. Bei den geplanten Massenentlassungen ging es um einen Präzedenzfall. Es war ein konkreter Angriff auf Gewerkschaften und Arbeitsplatzorganisationen, denn die Aktiven sollten zuerst entlassen werden. Im Verlauf des Konflikts handelte die Hyundai-Leitung ein Abkommen mit der Gewerkschaft aus. Statt mehr als 10.000 Entlassungen war nur noch von 270 die Rede. Mehrere Tausend Arbeiter wurden jedoch in unbezahlten Urlaub geschickt, was nichts anderes als eine kaschierte Entlassung war.

Interessanterweise knickten auch die Arbeitsplatzorganisationen ein. Am Anfang forderten sie Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, später ging es ihnen nur noch um Arbeitsplatzstabilität. Im Grunde genommen reduzieren sich die Kämpfe jetzt darauf, Massenentlassungen zu verhindern. Wir befinden in einer grundlegenden Umstrukturierung der südkoreanischen Industrie.

Aber radikalisieren sich jetzt die Leute oder sind das eher die letzten Zuckungen der südkoreanischen Arbeiterbewegung?

Bei Hyundai waren 70% der Belegschaft gegen den Kompromiß mit der Konzernleitung. Der Gewerkschaftsführer, der bis dahin als Linker galt, hat sich nach der Unterzeichnung des Abkommens 2 Wochen lang vor der Belegschaft versteckt, weil er ihren Zorn fürchtete. Nach dem neuen Arbeitsgesetz ist ein Vertrag nämlich bereits dann gültig, sobald er von einem Gewerkschaftsführer unterzeichnet wurde. Eine Abstimmung in der Belegschaft ist nicht notwendig.

Von den Maßnahmen bei Hyundai sind bereits 1600 Leute betroffen, die meisten von ihnen Aktivisten. Von 40.000 Hyundai-Auto-Arbeitern waren vor dem Streik 30.000 Gewerkschaftsmitglieder. Inzweischen sind es nur noch 27.000. Etwa 10.000 werden von den Urlaubsregelungen betroffen sein.

Bei Mandoo, einem Auto-Zulieferer, der im vergangenen Sommer wochenlang besetzt blieb, haben sich Gewerkschaften und Arbeitsplatzorganisationen gegen jeden Kompromiß gewehrt. Nach einem 10-tägigen Streik, der vom KCTU nicht unterstützt wurde, wurden 2700 von 4000 Gewerkschaftsmitgliedern entlassen. Die Besetzung wurde durch einen brutalen Polizei-Einsatz.

Es gab also zwei Niederlagen, die auch den KCTU betreffen. Seine Mitgliederzahl ist rückgängig. Aber wir haben gesehen, daß es im Januar eine neue Protestwelle bei Samsung und Daewoo gab. Der IWF will, daß die südkoreanischen Großkonzerne enger kooperieren und Bereiche zusammenlegen. Die Entlassungswelle ist also noch lange nicht am Ende, und deshalb werden auch die Proteste weitergehen.

Interessanterweise haben linke Betriebsleute, also Aktivisten der Arbeitsplatzorganisationen, bei den Gewerkschaftswahlen in den vergangenen Monaten sehr gut abgeschnitten. Auch der Hyundai-Gewerkschafter, der den Kompromiß über unbezahlten Urlaub mit der Konzernleitung aushandelte, kam von einer Liste der Arbeitsplatzorganisationen. Der Versuch, linke Positionen im Apparat zu verankern, scheint fehlgeschlagen zu sein. Trotzdem haben jetzt viele wieder Hoffnungen, daß die linke Werftarbeitergewerkschaft den nächsten KCTU-Vorsitzenden stellen und sich damit die Gewerkschaftspolitik ändern könnte....

Ja, bei Hyundai war das wirklich dramatisch. Wir haben gemerkt, daß es nicht reicht, Linke in die Führungsstrukturen zu bekommen. Nur die direkte Entscheidung der Belegschaften kann verhindern, daß es faule Kompromisse gibt.

Ich glaube auch, daß die Ereignisse bei Hyundai waren kein Einzelfall sind. Wir müssen also die Entscheidungsstrukturen verändern und demokratisieren.

Wo stehen die Arbeitsplatzorganisationen jetzt - zehn Jahre, nachdem sie die Demokratiebwegung in Gang brachten?

Sie sind geschwächt und haben viele offene Fragen. Wir wissen nicht, ob wireine politische Organisation werden sollten und wenn, dann für wen? Unser Verhältnis zu den Gewerkschaften ist nicht eindeutig, ebensowenig wie unsere Position zu den Sozialpartnerschaftsmodellen. Wir sind mit Abwehrkämpfen beschäftigt und haben keine konkreten Ziele. Wir stellen uns die Frage, ob wir uns stärker auf die Betriebe konzentrieren oder eine politische Organisation gründen sollen. Und dazu kommt außerdem das Problem, daß viele Aktivisten im Knast sitzen. Allein bei der Besetzung von Mandoo sind Hunderte für Jahre ins Gefängnis gekommen.

Aber am Ende sind sie auch nicht. Die nationale Koordination ist gewachsen, und es entstehen weiterhin neue Basisorganisationen.

Es fragten: Hae-Lin Choi und Raul Zelik

 

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