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Nachdem sich die Unabhängigkeitsparteien Junts Pel Sí und Candidatura d’Unitat Popular (CUP) Anfang Januar, nur zwei Stunden vor Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Frist, doch noch auf die Wahl eines Ministerpräsidenten verständigen konnten, treibt Katalonien nun ernsthaft seine Loslösung von Spanien voran. Die Linke im spanischen Staat ist über diesen Prozess tief zerstritten. Während in Madrid die Einschätzung vorherrscht, dass die Unabhängigkeitsbestrebungen zu einer Ethnisierung sozialer Konflikte führen werden, sind viele Linke in den Regionen davon überzeugt, dass der Unabhängigkeitsprozess die Tür für soziale und demokratische Veränderungen weit aufstoßen kann.


Linksradikale CUP tolerieren sozialliberale Regierung

Die Verhandlungen über die Bildung der katalanischen Regierung hatten sich 3 Monate lang hingezogen, da sich die linksradikale CUP, ein Bündnis antikapitalistischer und feministischer Gruppen, weigerte, den bisherigen Ministerpräsidenten Artur Mas von der bürgerlichen Convergència Democratica de Catalunya (CDC) als Regierungschef zu bestätigen.

Nachdem eine Vollversammlung der CUP mit 3000 Aktivist/innen Ende Dezember diese Position bekräftigte (exakt 1515 Personen stimmten für, ebenso viele gegen die Wahl des bürgerlichen Politikers), war man allgemein bereits von Neuwahlen ausgegangen. Doch auf Druck gesellschaftlicher Organisationen und wohl auch aus Furcht der liberalen CDC vor einer Wahlschlappe kam im letzten Augenblick schließlich doch noch eine Einigung zustande. Neuer Ministerpräsident ist nun der ehemalige Bürgermeister von Girona Carles Puigdemont (ebenfalls CDC). Stellvertretender Regierungschef und Wirtschaftsminister wird Oriol Junqueras von der sozialdemokratischen Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), und um die internationale Anerkennung des Unabhängigkeitsprozess soll sich Raül Romeva kümmern, der für die die linkssozialdemokratisch-grüne Inciativa per Catalunya-Verds bis 2014 im Europaparlament saß.

Die CUP, die nicht an der Regierung Puigdemont beteiligt, verpflichtet sich, diese bei der Loslösung von Spanien in den kommenden 18 Monaten parlamentarisch zu stützen. Zu diesem Zweck werden sich zwei (der zehn) CUP-Abgeordneten an den Fraktionssitzungen der (von CDC, ERC und unabhängigen Linken gebildeten) Mehrheitsliste Junts pel Sí beteiligen. Die Regierung verfügt damit über eine solide Mehrheit – 72 von 135 Sitzen – im katalanischen Parlament. Damit die bürgerliche CDC ihr Gesicht nicht verliert, mussten neben dem bisherigen Ministerpräsidenten Artur Mas auch zwei CUP-Abgeordnete symbolisch zurücktreten und wurden durch Nachrücker ersetzt.


Regierungsprogramm: Verfassunggebender Prozess, Gründung einer Republik, Sozialprogramme

Podemos, Izquierda Unida und die Madrider Mainstream-Presse zeigten sich bei der Bewertung der neuen katalanischen Regierung ungewohnt einig: Die CUP, so hieß es, habe der von Korruptionsskandalen erschütterten CDC einen Rettungsring zugeworfen und damit einen Politikwechsel verhindert.

Tatsächlich ist das ungewöhnliche Regierungsbündnis aus Liberalen, Sozialdemokrat/innen und Linksradikalen nur zu verstehen, wenn man die These akzeptiert, dass Katalonien tatsächlich seine Unabhängigkeit anstrebt. Aus Sicht der „katalanistischen“ Parteien handelte es sich bei den Wahlen im September nämlich nicht um einen gewöhnlichen Urnengang, sondern um ein Referendum. Hintergrund hiervon ist, dass das katalanische Parlament 2013 mit großer Mehrheit die Durchführung eines Referendums beschlossen hatte, dieses jedoch durch Madrid verboten worden war. In Anbetracht der politischen Blockade beraumte die Autonomieregierung daraufhin „plebiszitäre Wahlen“ an, bei denen 48% die Unabhängigkeitsforderung (Junts Pel Sí, CUP) unterstützten, 39% für die Beibehaltung des Status Quo stimmten (PP, Ciudadanos, PSOE) und weitere 10% Parteien ihre Stimme gaben, die einen verfassunggebenden Prozess und das Unabhängigkeitsreferendum unterstützen, sich aber für eine föderale Lösung innerhalb Spaniens einsetzen.

Die Unabhängigkeitsparteien, die die absolute Mehrheit der Stimmen knapp verfehlten, aber über eine klare parlamentarische Mehrheit verfügen, rechtfertigen ihre Entscheidung, die Loslösung von Spanien in Gang zu setzen, damit, dass eine demokratische Befragung der katalanischen Bevölkerung innerhalb des spanischen Staates nicht möglich ist. In diesem Sinne soll die „Übergangsregierung“ Puigdemont die Grundlagen für ein verfassunggebenden Prozess und rechtlich bindendes Referendum schaffen.

Aus der Antrittsrede des neuen Ministerpräsidenten lässt sich die Radikalität dieses Vorhabens nicht unbedingt herauslesen[1]. Die Statements Puigdemonts unterschieden sich in vieler Hinsicht kaum von ‚normalen‘ Regierungserklärungen – was von spanischen Linken als Beweis dafür herangezogen wurde, dass es sich bei den Unabhängigkeitsbestrebungen in Wirklichkeit nur um ein Manöver handele, mit dem die CDC ihre Krise zu kaschieren versucht.

Dagegen spricht jedoch das zwischen Junts pel Sí und CUP ausgehandelte Regierungsprogramm, das demokratie- und sozialpolitisch deutlich über das hinausgeht, was Podemos als Oppositionspartei in Madrid vertritt. Während nämlich Podemos zentrale Forderungen – wie etwa den verfassunggebenden Prozess und die Einführung eines Grundeinkommens – gestrichen hat, verpflichtet sich die sozialliberale katalanische Übergangsregierung auf genau diese Punkte. Innerhalb von 18 Monaten soll eine eigene Verfassung erarbeitet und gesellschaftlich debattiert werden. Die Autorität des (noch von der Franco-Diktatur eingesetzten) Königshauses soll nicht länger anerkannt und Katalonien zügig in eine Republik verwandelt werden. Zudem sollen die Opfer der Wirtschaftskrise mit Sozialprogrammen in Höhe von 270 Millionen Euro unterstützt werden.

Ein von der PAH (Bewegung gegen Zwangsräumungen) initiiertes Gesetz gegen Zwangsräumungen und Energiearmut wurde bereits 2015 mit Unterstützung der CDC vom Autonomieparlament verabschiedet, konnte jedoch auf Weisung Madrids bisher nicht umgesetzt werden. Erwähnenswert sind schließlich auch noch zwei weitere Maßnahmen, die Puigdemont bei seiner Antrittsrede ankündigte: die Einführung eines Existenzgeldes und die Ausrichtung der Flüchtlingspolitik an den UNHCR-Richtlinien.


Ethnisierung des Sozialen oder Linkswende?

Ob die neue Regierung ihr Programm auch umsetzen wird, steht in den Sternen. Madrid hat bereits angekündigt, dass man die Finanzmittel Kataloniens einfrieren werde, um den Unabhängigkeitsprozess zu stoppen. Ohne Haushaltsmittel jedoch werden die Sozialprogramme Absichtserklärungen bleiben müssen. Andererseits jedoch könnte genau dieser Konflikt die gesellschaftlichen Kämpfe neu aufflammen lassen. Dabei besteht zwar auch das Risiko, dass die „nationale Frage“ soziale Forderungen überdeckt, doch möglich ist auch das Gegenteil – nämlich, dass der Konflikt mit Madrid noch deutlicher als bisher sozialpolitisch besetzt wird.

Denn zumindest bisher hat der Unabhängigkeitsprozess die katalanische Politik (ähnlich wie 2014 in Schottland) eher nach links verschoben. So hat sich die (neo-) liberale CDC bereits in den vergangenen 4 Jahren immer wieder Initiativen der sozialen Bewegungen – z.B. der Gesetzesinitiative gegen Zwangsräumungen, dem Verbot von Gummigeschossen durch die Polizei und der Schließung von Abschiebezentren – angeschlossen, um politisch nicht isoliert zu werden.

Es spricht Einiges dafür, dass das auch in den nächsten zwei Jahren so weitergehen könnte. Die Regierung Puigdemont wird nämlich an ihrem Wahlversprechen gemessen werden, die Loslösung von Spanien voranzutreiben. Da sie dabei nicht auf Unternehmerverbände und Banken zählen kann (die das Risiko eines Unabhängigkeitsprozesses für unkalkulierbar halten) und die Position der politischen Rechten bereits durch die spanischen Parteien PP und Ciudadanos besetzt ist, muss sie dieses Vorhaben mit der katalanischen Linken umsetzen und sich zudem darum bemühen, jenen Teil der Bevölkerung zu gewinnen, dem zwar die Unabhängigkeit egal ist, der sich aber soziale Verbesserungen wünscht.

Dass die Liberalen (und nicht die sozialdemokratische ERC) den Regierungschef stellen, könnte sich dabei sogar als Vorteil erweisen: Puigdemont wird stärker als ein ERC-Politiker gezwungen sein, die fortschrittlichen Aspekte des Unabhängigkeitsprozesses hervorzukehren.


Geschichte der Unabhängigkeitsforderung

Dass die Forderung nach Unabhängigkeit überhaupt in den Mittelpunkt der Debatte gerückt ist, versteht man nur, wenn man sich die Auseinandersetzungen um das katalanische Autonomiestatut in den 2000er Jahren vor Augen führt.

Antifaschistische, linke und nationale Forderungen waren in Katalonien bereits im Widerstand gegen die Franco-Diktatur enge Verbindungen miteinander eingegangen.[2] Nach der Einführung des Autonomiestatuts von 1980 jedoch trat nur noch eine kleine Minderheit für die Unabhängigkeit ein. Stattdessen nutzten die katalanischen Parteien die Autonomie zur Stärkung von Sprache und Institutionen. Die Haltung der seit 1980 fast ununterbrochen regierenden Convergència i Unió (CIU), einer Koalition aus liberaler CDC und christdemokratischer Unió, entsprach in dieser Hinsicht der Politik der bayrischen CSU. Die kulturelle Eigenständigkeit wurde betont, um die eigene Partei machtpolitisch zu stärken. Gleichzeitig bot sich die CIU als staatstragende Partei in Madrid an und stützte je nach Notwendigkeit Regierungen der PP oder PSOE. Parallel dazu baute die katalanische Rechte – ähnlich wie die PP in Spanien – ein gigantisches Korruptionsnetzwerk auf: Allein die Familie des langjährigen Ministerpräsidenten Jordi Pujol soll 1,8 Milliarden Euro in Steuerparadiese verschoben haben.[3]

Die Lage änderte sich erst, als 2003 in Katalonien eine Mitte-Links-Regierung aus PSC (der katalanischen Sektion der PSOE), ERC und der linkssozialdemokratisch-grünen Inicativa per Catalunya-Verds (ICV) 2003 gebildet wurde und wenige Monate später die PSOE auch in Gesamtspanien die Regierung übernahm (und mit der ETA über eine politische Lösung des baskischen Konflikts zu verhandeln begann). Die Stunde einer föderalen Neuordnung Spaniens schien gekommen.

Trotz großer Kompetenzen der Autonomieregionen (in Bildungs-, Sprach- und Wirtschaftsangelegenheiten) ist die Grundstruktur des Landes nämlich bis heute zentralistisch. Madrid kann Gesetze der Autonomieregierungen jederzeit außer Kraft setzen, die Existenz der nicht-spanischen Nationen im Staat wird hartnäckig geleugnet. Doch die erhofften föderalen Reformen blieben aus. Die katalanische Mitte-Links-Regierung legte zwar ein neues Autonomiestatut vor, doch dieses wurde von der PSOE im Parlament in Madrid blockiert und bis zur Unkenntlichkeit beschnitten. Als der Verfassungsgerichtshof 2010 dann auch noch diese modifizierte Version einkassierte, reagierte ein großer Teil der Bevölkerung empört. 2 Millionen (von insgesamt 7,5 Millionen) Katalan/innen demonstrierten gegen das Diktat des Zentralstaats.

In der Schuldenkrise, als die Zentralregierung die Haushalte der Autonomieregionen „intervenierte“ und Sozialkürzungen in den Regionen erzwang, nahm diese Unzufriedenheit noch weiter zu. So entstand schließlich, völlig unerwartet für die politischen Parteien, eine breit getragene Unabhängigkeitsbewegung, die seitdem immer wieder Millionen Menschen auf die Straße gebracht hat. Spanische Linke vergleichen diese Bewegung häufig mit der wohlstandschauvinistischen Lega Nord in Norditalien. Doch tatsächlich speist sich das katalanische Unabhängigkeitsstreben aus sehr unterschiedlichen Motiven: Während für die einen demokratische, antifranquistische, republikanische und soziale Forderungen im Vordergrund stehen, geht es anderen tatsächlich darum, Katalonien von den Transferzahlungen an den Zentralstaat zu befreien. Zudem ist die These, wonach sich „reiche Katalanen“ aus der Solidarität mit dem armen Süden herausstehlen wollen, ausgesprochen verkürzt. Erstens liegt das katalanische Pro-Kopf-BIP mit 27.000 Euro jährlich deutlich unter dem der Autonomiegemeinschaft Madrid mit 31.000 Euro[4], und zweitens führt das Solidaritätsargument auch insofern in die Irre, als die katalanischen Transferleistungen ja nicht andalusischen Landarbeitern oder Zwangsgeräumten in Badajoz, sondern den gesamtspanischen Eliten zugutekommen.

Unterschätzt wird häufig auch, welche enormen Verschiebungen die Protestbewegung seit 2010 ausgelöst hat: Die CIU, wichtigste Machtpartei Kataloniens, ist zerbrochen. Während sich die krisengebeutelte CDC gegen die Interessen der Großkonzerne positioniert hat, ist die christdemokratische Unió, die für eine Autonomiereform plädiert, in der Bedeutungslosigkeit versunken. Die sozialdemokratische ERC hat sich radikalisiert, in den föderalen Mitte-Links-Parteien PSC und ICV haben sich Minderheitenfraktionen herausgebildet, die für die Unabhängigkeit eintraten und ihre Parteien schließlich verlassen haben. Die linksradikale CUP schließlich, die bis 2011 nur aus einigen lokalen Listenverbindungen bestand, hat bei den letzten Wahlen 8% bekommen und bestimmt die politische Debatte maßgeblich.

Diese Radikalisierung hat zudem auch die Bereitschaft wachsen lassen, das Demokratiedefizit des spanischen Staates offen zu benennen. Die bürgerlichen katalanischen Parteien gaben im Herbst 2014 beispielsweise, als Madrid das Unabhängigkeitsreferendum für illegal erklärte, nicht einfach klein bei, sondern propagierten eine Form des zivilen Ungehorsams und organisierten zusammen mit gesellschaftlichen Organisationen eine rechtlich nicht bindende consulta (Volksbefragung). Obwohl auch diese mit Verbot bedroht wurde, beteiligten sich am 9. November 2014 2,3 Millionen der 5,5 Millionen Wahlberechtigten an der Befragung. 81 Prozent stimmten dabei für einen unabhängigen katalanischen Staat, weitere 10 Prozent für einen eigenen Bundesstaat innerhalb einer föderalen Republik.

Wenn man die aktuellen Debatten verstehen will, muss man berücksichtigen, dass die bürgerliche CDC in diesem Konflikt mehr Zivilcourage gezeigt hat als die föderalen Linksparteien Izquierda Unida, ICV oder Podemos. Letztere befürworten zwar das Referendum, aber trugen wenig dazu bei, um die Abstimmung trotz des Verbots durchzusetzen. Der bürgerliche Ministerpräsident Artur Mas hingegen wurde 2015 tatsächlich von einem spanischen Justiz angeklagt[5].


Die Road Map von Junts Pel Sí

Der Road Map der Regierung Puigdemont sieht nun vor, dass man sich in den kommenden 18 Monaten punktuell über die spanische Gesetzgebung hinwegsetzen und eigene Institutionen (wie z.B. eine Steuerbehörde) aufbauen wird. Vor allem jedoch soll eine republikanische Verfassung erarbeitet und gesellschaftlich diskutiert werden. Diese Verfassung und die damit zusammenhängende Eigenstaatlichkeit sollen dann in einem Referendum, das man notfalls auch gegen den Willen des Zentralstaats durchführen will, zur Wahl gestellt werden. Die road map unterscheidet also zwischen dem (bereits initiierten) Prozess der Loslösung und einer (per Referendum zu legitimierenden) Unabhängigkeitserklärung.

An der Ausarbeitung der Verfassung will sich neben den Unabhängigkeitsparteien auch die föderale Linke, sprich das (von Linksgrünen, Podemos und Izquierda Unida gebildete) Bündnis Catalunya Sí que es Pot, beteiligen. Eine entsprechende Parlamentskommission ist bereits gebildet worden. Auf Druck der föderalen Linken hat diese allerdings keine „legislative“, sondern nur eine „beratende“ Funktion inne.


Strategiedebatten in der Linken

Die spanischen Linksparteien, aber auch Aktivist/innen aus sozialen Bewegungen haben der CUP wegen des Tolerierungsabkommens mit der sozialliberalen Junts Pel Sí zuletzt heftig angegriffen, und auch in der CUP selbst versuchten trotzkistische Gruppen die Vereinbarung bis zuletzt zu verhindern. Dabei ging es nicht nur darum, dass die CUP einen Politiker der CDC als Ministerpräsidenten akzeptiert hat, sondern es wurde auch immer wieder darauf verwiesen, dass Neuwahlen in Katalonien eine große Chance darstellen könnten.

Tatsächlich gab es in den letzten 3 Monaten eine bemerkenswerten Verschiebung des politischen Spektrums in Katalonien. Bei den Regionalwahlen im September war die föderale Linke (Podemos, Linksgrüne und IU) auf knapp 9%, die CUP auf 8,2% gekommen. Bei den gesamtspanischen Wahlen im Dezember hingegen (bei denen die CUP zur Wahlenthaltung aufrief) wurde das Bündnis En Comú Podem, das v.a. von der radikaldemokratischen Bewegung der Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau geprägt wird und das sich deutlich von Podemos abgesetzt hat, mit sensationellen 24,7% stärkste Partei. Die sozialdemokratische ERC wurde mit 16% zweitstärkste Kraft. Dementsprechend groß war die Hoffnung, dass Neuwahlen zu einer linken Regierung ähnlich wie Barcelona führen könnten.

Gerade auch Bewegungslinke, die den autoritären Kurs der Podemos-Führung um Pablo Iglesias und Íñigo Errejón kritisieren, waren der Überzeugung, dass Neuwahlen in Katalonien eine neue Dynamik in ganz Spanien in Gang setzen und in Podemos zu einer demokratischen Öffnung führen könnten.

Dass die CUP sich gegen ein solches Projekt entschied, ist letztlich allerdings viel konsequenter, als die Kritiker/innen unterstellen. Zum Einen ist die Unabhängigkeit Kataloniens für die CUP nämlich tatsächlich ein strategisches Ziel. Diese Unabhängigkeit jedoch lässt sich nur erreichen, wenn sie von Teilen des Bürgertums mitgetragen wird. Die Unterstützung der CDC für die Gründung einer katalanischen Republik ist dementsprechend kein Hindernis, sondern Voraussetzung des Projekts.

Neben dieser strategischen Zielsetzung, über die man streiten kann, gab es zudem ein sehr konkreteres Argument: Während es in Katalonien eine Mehrheit von fast 60% für die Gründung einer Republik und einen verfassunggebenden Prozess gibt, hat die Rechte in Gesamt-Spanien trotz Podemos das Heft weiter fest in der Hand. Die Parteien, die den 1978 unter Druck der alten franquistischen Machteliten ausgehandelten Verfassungskonsens verteidigen, kommen spanienweit nach wie vor auf 65%. Eine linke katalanische Autonomieregierung hätte wenig Spielräume gegen diese Mehrheit der spanischen Rechten. Die sozialliberale Regierung Puigdemont hingegen tritt von vornherein mit dem Versprechen, den Staatspakt von 1978 aufzukündigen.

In diesem Zusammenhang spielen auch historische Erfahrungen eine wichtige Rolle. Das große Drama der Transición, also der Öffnung nach Francos Tod 1975, bestand darin, dass die spanische Linke unter Führung der Kommunistischen Partei die Forderung nach einem Bruch mit der Diktatur faktisch aufgab. Die faschistischen Kader behielten ihre Machtpositionen in Wirtschaft, Armee und Justiz, kein einziges Verbrechen der Diktatur wurde vor Gericht gebracht. Bemerkenswerterweise zeigten sich bürgerliche Parteien Kataloniens oder des Baskenlands (wie die ERC) in dieser Frage konsequenter als die Kommunistische Partei Spaniens. In den letzten 3 Jahren hat sich diese Erfahrung wiederholt: Die spanische Linke sprach zwar viel von verfassunggebendem Prozess und Referendum, aber scheute jede Konfrontation, um diese Forderungen politisch durchzusetzen. Auch aus diesem Grund erscheint die Unabhängigkeit vielen katalanischen Linken die realistischste Perspektive, um grundsätzliche Veränderungen zu erzwingen.

Raul Zelik

 


[1] Die Rede ist online einsehbar unter http://estaticos.elmundo.es/documentos/2016/01/10/discursopuigdemont.pdf.

[2] So ging die wichtigste Organisation des antifranquistischen Widerstands in Katalonien, , die 1936 aus dem Zusammenschluss der katalanischen Sektionen von Sozialisten und Kommunisten entstandene „Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens“ (PSUC), in den 1960er und 1970er Jahren immer davon aus, dass soziale Forderungen und das nationale Selbstbestimmungsrecht Kataloniens verknüpft sind. Diese Position wurde als catalanismo popular bezeichnet.

[3] El Mundo vom 3.8. 2014 unter: http://www.elmundo.es/espana/2014/08/03/53dd5203e2704eb75e8b4584.html.

[4] Vgl. die Statistiken unter http://www.datosmacro.com/pib/espana-comunidades-autonomas.

[5] Vgl El País vom 29.9.2015 unter: http://ccaa.elpais.com/ccaa/2015/09/29/catalunya/1443516847_345075.html.

 

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