Die PP wird für ihre Lügen bestraft

(Gekürzt veröffentlicht in: Freitag 19. März 2004)

Der Wahlausgang in Spanien hat alle überrascht. Zehntausende von Demonstranten, die in der Nacht zum Wahltag noch einmal auf die Straße gingen, sorgten für einen Umschwung, der die Sozialdemokraten bis nah an die absolute Mehrheit herangeführt hat. Zu stark war am Ende das Gefühl in der Bevölkerung, von der Regierung unter José María Aznar wie während der Tanker-Katastrophe 2002 erneut betrogen worden zu sein.

Tatsächlich war das Verhalten der PP nach den Anschlägen am Donnerstag mehr als nur unzulänglich. Der Tod von 200 Menschen war den Rechtskonservativen gerade gut genug für eine letzte große Wahlkampf-Mobilisierung. Da wurde wissentlich gelogen, Medien aufgefordert, Falschmeldungen zu verbreiten, und die Bevölkerung aufgeheizt. Als Ergebnis dieses Spektakels starben am Samstag fast unbeachtet von den internationalen Medien noch zwei weitere Menschen. Im navarrischen Pamplona erschoss ein von der Berichterstattung aufgepeitschter Polizist einen Bäcker, der sich geweigert hatte, ein Anti-ETA-Plakat in seinem Laden aufzuhängen. Bei einer Protestkundgebung gegen diesen Mord kam durch den Einsatz von Gummigeschossen der Regionalpolizei in der baskischen Kleinstadt Hernani dann auch noch eine 58jährige Frau ums Leben.

Dabei wusste die Aznar-Regierung schon wenige Stunden nach den Anschlägen, dass das Massaker nicht auf das Konto der ETA ging. Kurz nach den Bombendetonationen erklärte der Sprecher der verbotenen Linkskoalition Batasuna Arnaldo Otegi, dass man den Anschlag verurteile und sich mit den Opfern solidarisiere. Die PP-Regierung bezeichnete diese Haltung als "erbärmlich", was Experten und Journalisten eigentlich zu Nachfragen hätte veranlassen müssen. Die Batasuna-Verbot im Jahre 2002 fußte nämlich im Wesentlichen darauf, dass die Partei sich nicht von ETA-Anschlägen distanziert und deswegen als politischer Arm der Untergrundorganisation betrachtet wird. Wenn Batasuna sich in diesem Fall distanzierte, blieben nur zwei vernünftige Erklärungen: Entweder ging Batasuna erstmals auf Abstand zu ETA - was das Batasuna-Verbot hinfällig gemacht hätte - oder die Untergrundorganisation hatte tatsächlich nichts mit der Sache zu tun.

Die Regierung Aznar hielt dennoch an ihrer Version fest. Der Aufruf der als ETA-nah geltenden Gewerkschaft LAB zu einer Arbeitsniederlegung aus Solidarität mit den Opfern wurde ebenso ignoriert wie das offizielle Dementi der ETA-Führung, das Freitagnachmittag eintraf. Diese Erklärung, der Fund eines Lieferwagens mit Koran-Suren und die Analyse eines nicht-hochgegangenen Sprengsatzes räumte die letzten begründbaren Zweifel aus. Immerhin hat sich die ETA in ihrer 45jährigen Geschichte noch zu jeder von ihr verübten Aktion bekannt - egal wie blutig diese war.

Doch was nicht sein durfte, konnte nicht sein. Auf die lauter werdenden Forderungen nach umfassenden Informationen reagierte die Aznar-Regierung mit der Anweisung an die diplomatischen Vertretungen, an der ETA-Version um jeden Preis festzuhalten. Dabei ging es ihr nicht nur darum, die umstrittene Beteiligung Spaniens am Irak-Krieg aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die PP verfolgte mit ihrer Desinformationspolitik auch langfristige politische Ziele. Die ETA ist zwar auch im Baskenland mittlerweile weitgehend isoliert, doch ihre Hauptforderungen- die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts und die mittelfristige Einberufung eines Referendums- werden heute von mehr Bürgern des Baskenlands (und Kataloniens) geteilt als zu Beginn der Amtszeit von Ministerpräsident Aznar.

So verwandelte die konservative Regierung die Trauerkundgebungen im ganzen Land in zentralistische Großdemonstrationen. "Mit den Opfern - für die Verfassung - gegen den Terror" lautete das Motto, das einen klar parteipolitischen Unterton besitzt. Auch 27 Jahre nach Francos Tod ist die Verfassung im spanischen Staat nämlich durchaus umstritten. Aus der Sicht der Regionen repräsentiert sie, historisch nicht unbegründet, die Kontinuität des Franquismus. Die alten Eliten sorgten nach dem Tod des Diktators 1975 dafür, dass die Armee in der Konstitution als Garant von Ordnung und nationaler Einheit definiert wurde. Diese unverhohlene Drohung mit Waffengewalt prägt das Verhältnis zwischen den Autonomieregierungen und Madrid bis heute maßgeblich.

Dass die spanische Bevölkerung die Manöver der Aznar-Regierung als Betrug oder zumindest als schlechtes Krisenmanagement erkannte, ist das einzig Erfreuliche an den Ereignisse der letzten Tage. Trotz des Schocks hat sich die Bevölkerung im spanischen Staat nicht blind für die Interessen der Regierenden mobilisieren lassen. Davon zeugt auch das Wahlergebnis der linksrepublikanischen katalanischen ERC, die im Wahlkampf von der PP besonders hart angegriffen worden war und mit ihren konsequent pazifistischen Positionen drei Mal mehr Wähler für sich mobilisieren konnte als noch vor vier Jahren. Für einen echten Politikwechsel wird das Wahlergebnis dennoch wohl kaum reichen. Schon einmal, 1981 unter Felipe González, war die PSOE mit den Versprechen einer antimilitaristischen Wende und der Umsetzung der unvollendeten postfranquistischen Demokratisierung angetreten. Es folgten der NATO-Beitritt und der Aufbau der GAL-Todesschwadronen. Man darf zweifeln, ob Zapatero den angekündigten Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak gegen den sich abzeichnenden Druck tatsächlich umsetzen wird.

Das größte Fragezeichen dieser Tage bleibt jedoch, wer hinter den Anschlägen von Madrid steckt und was er damit verfolgt. Eine ganze Armada von "Terrorismus-Experten" hat sich in der letzten Woche mit Stammtisch-Gerede komplett diskreditiert. Diesen Leuten kann man nichts mehr glauben. Doch auch der berechtigte Hinweis, dass es in Europa derartige Anschläge bereits mehrmals gegeben hat und zwar mit rechtsterroristischem bzw. geheimdienstlichem Hintergrund - 1969 in Mailand, 1974 auf den Italicus-Zug, 1980 auf den Bahnhof Bologna und das Münchner Oktoberfest -, kann das Massaker von Madrid nicht erklären. Den Law-and-Order-Befürwortern mag ein derartiger Terrorismus zwar in einer Hinsicht zupass kommen, weil er die Durchsetzung neuer Sicherheitsgesetze ermöglicht, aber anders als in den Jahren der so genannten ‚Strategie der Spannung' hat heute niemand in Europa ein Interesse an einer derart umfassenden Verunsicherung von Gesellschaft und Ökonomie. So bleibt das beunruhigende Gefühl, es mit einem Angreifer zu tun zu haben, den man nicht kennt. Der keine Forderungen formuliert und keiner nachvollziehbaren politischen Logik zu folgen scheint.

Raul Zelik

 

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