Der bewaffnete Kampf im Baskenland ist zu Ende
Die Unabhängigkeitslinke erklärt einen Strategiewechsel
Beitrag für die WOZ und Freitag / 20. November 2009
„Nichts Neues“, kommentierte der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba die neue Friedensinitiative, die 110 AktivistInnen der baskischen Linken am vergangenen Samstag in der Kleinstadt Altsasua (Navarra) verkündeten. Und auch die – im Anti-ETA-Kampf weitgehend gleichgeschalteten – spanischen Medien schenkten der Iniative keine größere Bedeutung. Doch tatsächlich läuft die Erklärung von Altsasua auf das Ende des bewaffneten Kampfs im Baskenland hinaus.
Das Dokument, dem ein mehrjähriger Diskussionsprozess vorausging, interpretiert dieses Ende nicht als Scheitern, sondern als sinnvollen Strategiewechsel. So wird zunächst auf die Erfolge der baskischen Linken verwiesen. Ihr sei es seit den 1970er Jahren immer wieder gelungen, die franquistische Kontinuität Spaniens sichtbar zu machen und breite soziale Bewegungen gegen die herrschende Politik zu mobilisieren. Dem Autonomiestatut fehle es im Baskenland heute an Legitimität, und die Mehrheit der Bevölkerung sei davon überzeugt, dass die Menschen in der Region selbst über ihre politische Zukunft entscheiden können müssen. Genau das jedoch stellt den Kern des Konflikts mit Madrid dar.
Gleichzeitig, so die Erklärung weiter, sei die Situation jedoch blockiert. Madrid und Paris sei es gelungen, den politischen Konflikt durch ihren Anti-Terror-Diskurs unsichtbar zu machen. Und vor diesem Hintergrund – so die zentrale These – müsse die „Konfrontation mit dem spanischen und französischen Staat nun auf jenes Terrain geführt werden, auf dem diese am schwächsten sind: auf das Terrain der Politik.“ Massenmobilisierungen, die Arbeit in Institutionen, die politisch-ideologische Debatte und der Kampf um internationale Unterstützung – das seien die zentralen Säulen der zukünftigen Strategie.
Einseitig und ohne Einschränkung bekennt sich die baskische Linke in der Erklärung zu einem „demokratischen Prozess“, in dem die Bevölkerung „frei, demokratisch und ohne Gewalt entscheiden“ solle. Sie beruft sich dabei auf die Mitchell-Prinzipien, die einen Gewaltverzicht beinhalten und in den 1990er Jahren den nordirischen Friedensprozess möglich machten.
Baskische Beobachter haben die Frage aufgeworfen, warum das Dokument die Kernaussage nur indirekt formuliert. Denn wenn von einer „neuen Phase“ der Auseinandersetzung die Rede ist, in der man mit „ausschließlich friedlichen und demokratischen Mitteln“ agieren werde, dann impliziert das ein Ende der ETA. Hier geht es offensichtlich um eine Haltung: Die baskische Linke, die mit dem Dokument mögliche Bündnispartner ansprechen will, verweigert jede Unterwerfungsgeste unter den spanischen Staat. Sie erklärt, dass sie ihre Politik nicht aufgrund der Madrider Repression ändere, sondern weil sie davon überzeugt sei, auf politischem Weg mehr erreichen zu können. Dieses Statement ist auch deswegen wichtig, weil der Strategiewechsel selbstverständlich umstritten ist. Sowohl in Batasuna als auch in ETA wurde in vergangenen Jahren heftig über die richtige Reaktion auf die Madrider Repressionspolitik debattiert.
Dass die Regierung Zapatero die neue Initiative zu verhindern suchte (indem sie die Batasuna-Führung um Arnaldo Otegi erneut verhaften ließ), verweist darauf, dass das Batasuna-Argument nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Für Madrid ist die aktuelle Konstellation komfortabel: Die gelegentlichen ETA-Anschläge lassen sich innenpolitisch ausschlachten, und das Verbot Batasunas hat den spanischen Sozialisten eine – fragwürdige – Mehrheit im baskischen Regionalparlament beschert. Eine Neuformierung der Unabhängigkeitsbewegung könnte die Koordinaten in Spanien gehörig durcheinander wirbeln.
Aus diesem Grund ist es deshalb auch unwahrscheinlich, dass sich ETA der Initiative verweigern könnte. Die Untergrundorganisation war an der Diskussion selbst beteiligt und sie weiß, dass ein Strategiewechsel mehr Chancen als Risiken birgt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass es zu Verwerfungen kommt. Doch andererseits hat die ETA schon 2007 während der in der Schweiz geführten Gespräche mit der spanischen Regierung eine Selbstauflösung angeboten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ETA ihre Unterstützung für den Strategiewechsel öffentlich machen wird.
Raul Zelik