Patt im Ausnahmezustand
PSOE und Unabhängigkeits-Linke gewinnen bei von Illegalisierung bestimmten Wahlen im Baskenland (Freitag / ak Mai-Juni 2005)
Das wichtigste Kennzeichen der Wahlen Ende April im spanischen Baskenland blieb in den europäischen Medien weitgehend ausgeblendet: der durch und durch undemokratische Charakter des Urnengangs. Es ist bemerkenswert, dass der inoffizielle Ausnahmezustand auf der iberischen Halbinsel selbst von der Linken nicht mehr registriert wird.
Politische Gewalt hat bei den spanischen Wahlen seit Francos Tod 1975 immer eine wichtige Rolle gespielt. Auf der einen Seite hat ETA, v.a. seit den 1990er Jahren, Politiker von PSOE und PP ermordet und Aktivisten der beiden Parteien pauschal zu „militärischen Angriffszielen“ erklärt. Auf der anderen, was in der Öffentlichkeit unerwähnt bleibt, hat aber auch der spanische Staat die baskischen Bürger regelmäßig erpresst. In den ersten Jahren der parlamentarischen Demokratie drohte Madrid offen mit der Armee, wenn der baskische Ruf gegen die Bourbonen-Monarchie zu laut wurde. Ab 1983 ermordeten von der PSOE-Regierung unter Felipe González aufgebaute GAL-Todesschwadronen baskische Linkspolitiker, und seit den 90er Jahren sind es v.a. Verbote sowie der systematische Einsatz der Folter, mit dem baskische Linke, darunter längst nicht nur ETA-Sympathisanten, terrorisiert werden. Martxelo Otamendi, Chefredakteur der gewerkschaftsnahen Tageszeitung Berria, hat seine Foltererlebnisse 2003 im Parlament von Vitoria eindrücklich geschildert, ohne dass die europäische Öffentlichkeit diese Zustände, die den lateinamerikanischen Staatsverbrechen in nichts nachstehen, auch nur registriert hätten.
In diesem Sinne kann man die Wahlen vom 17. April nicht als regulär bezeichnen. PolitikerInnen von PSOE und PP mussten um ihr Leben fürchten, der baskischen Linken wurden Wahlveranstaltungen polizeilich gesprengt und der ihr gesetzlich zustehende Zugang zu Medien und Parteienfinanzierung verweigert. Zudem gab es auch diesmal Verbote. Zunächst traf es wie erwartet die Liste der Linkskoalition Batasuna, die bereits seit 2003 illegalisiert ist, aber nach wie vor mit Abgeordneten im Parlament vertreten ist; und wenige Tage später dann auch die Kandidatur von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, die sich unter dem Namen Aukera Guztiak (Alle Optionen) für das Recht einsetzen, sich ohne Angst vor Gewalt politisch äußern zu können. Obwohl diese Forderung auch die Überwindung ETAs beinhaltete, wurde die Liste kurzerhand als terroristische Vorfeldorganisation von den Wahlen ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen erfreulich, dass das Wahlergebnis die schwierige Situation im Land parlamentarisch reflektiert. Die bisherige Koalitionsregierung aus baskischen Christ- und Sozialdemokraten (PNV / EA) einerseits sowie der föderalistischen Vereinigten Linken (EB-IU, in der die spanische KP federführend ist) hat deutlich an Stimmen eingebüßt. Die PNV-EA-Liste von Ministerpräsident Ibarretxe ist zwar nach wie vor mit Abstand stärkste Fraktion, verlor aber 150.000 von 600.000 Stimmen und stellt mit 38,6% nur noch 29 Sitze. EB-IU konnte ihre Sitze verteidigen, verlor jedoch absolut ebenfalls deutlich – nämlich etwa 15.000 Wähler. Die dramatischsten Einbußen verzeichnete die konservative PP, die ein Drittel ihrer Stimmen verlor und nur noch über 15 Sitze verfügt. Klarer Gewinner sind die spanischen Sozialdemokraten (PSE), die mit 22,6% nun 18 statt (wie bisher 13 Abgeordnete) stellen.
Völlig offen ist, wie sich die Regierungsbildung gestalten wird. PNV-EA und Partido Socialista de Euskadi wollen nicht miteinander koalieren. Wirtschafts-, sozial- und innenpolitisch sind die beiden Gruppen zwar nicht weit voneinander entfernt – die baskischen Christdemokraten stehen sozial- und einwanderungspolitisch den spanischen Sozialdemokraten sehr nah. Doch die Positionen gegenüber dem baskischen Konflikt sind unvereinbar. Mit dem Ibarretxe-Plan, der die Bildung einer freien Assoziation des Baskenlandes mit Madrid vorschlägt, verlangt die PNV 25 Jahre nach Verabschiedung des Autonomiestatuts die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts. Was im Prinzip auch in repräsentativen Demokratien eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich dass Verfassungen und Staatszugehörigkeit von der Bevölkerung legitimiert werden müssen (die baskische Bevölkerung lehnte die Verfassung 1978 ab und nahm das Autonomiestatut nur vor dem Hintergrund von Putsch- und Bürgerkriegsdrohungen an), ist für die spanischen Sozialdemokraten nach wie vor inakzeptabel. Nicht zu Unrecht fürchten diese einen Zerfall Spaniens. In vielen Regionen der Halbinsel ist der aktuelle Zustand nach wie vor umstritten. Würde das Baskenland unabhängig, würden mit Sicherheit Katalonien, wahrscheinlich aber auch andere Regionen, eine größere Unabhängigkeit von Madrid fordern.
Angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen von PSE und PNV-EA fungiert jetzt eine bis 14 Tage vor den Wahlen unbekannte Gruppe als Zünglein an der Waage,. Die Kommunistische Partei der Baskischen Territorien (EHAK), eine kleine Gruppierung aus dem Spektrum der sozialen Bewegungen, machte sich nach dem Verbot von Aukera Guztiak das Minimal-Programm der verbotenen Liste – Demokratie und politische Lösung des baskischen Konflikts – zueigen. Die von Feministinnen, GewerkschafterInnen und Anti-Globalisierungs-AktivistInnen aufgestellte Liste ging damit ein beträchtliches Risiko ein. Bis zuletzt suchte die Generalstaatsanwaltschaft nach Möglichkeiten, die Partei zu verbieten. Doch die baskischen Kommunisten verwiesen darauf, dass sie bereits seit 2001 im Parteienregister eingeschrieben seien und sich an ihrem Programm nichts geändert habe. Dass es EHAK ohne Finanzmittel, prominente Kandidaten und Fernsehwahlkampf aus dem Stand auf einen Wähleranteil von 12,5 % schaffte, war wohl die eigentliche Überraschung des 17. April. „Das Sprachrohr der Illegalisierten“, so Spitzenkandidatin und Gewerkschafterin Maite Aranburu, stellt 9 Sitze im neuen Parlament.
Was das für die Präsenz linker Inhalte bedeutet, wird sich zeigen müssen. Auf symbolischer Ebene war es der ‚röteste’ Wahlkampf seit langem. Auch Batasuna steht zwar, anders als es das identitär-folkloristische Auftreten der Koalition bisweilen vermuten lässt (besonders gefürchtet sind die von Trachtenträgern gebildeten baskischen Demonstrationszüge), für eine antikapitalistische, an Bewegungen orientierte und emanzipatorische Politik. Doch EHAK definiert sich, wie Herri Batasuna zuletzt in den frühen 1980er Jahren, offensiv als Projekt von ArbeiterInnen, Feministinnen und AntikapitalistInnen. Die Spitzenkandidatinnen Nekane Erauskin und Maite Aranburu stammen aus der Gewerkschaft LAB, die sich in Europa am ehesten mit den italienischen COBAS vergleichen lässt. Im Vorfeld der Wahlen war angezweifelt worden, ob die Anhängerschaft Batasunas einer offen kommunistischen Kandidatur ihre Stimme geben würde. Nun hat EHAK gegenüber der Batasuna-Liste 2001 7000 Stimmen gewonnen, und das, obwohl mit Aralar auch eine liberale Batasuna-Abspaltung zur Wahl stand. Die Stimmverteilung zwischen EHAK und Aralar zeigt im Übrigen, wie die politischen Gewichte in der Unabhängigkeitslinke verteilt sind. Für Aralar stimmten 28.000 Menschen, für EHAK 150.000.
Dennoch ist der Spielraum EHAKs begrenzt. Auf der Liste durften keine Personen kandidieren, die mit verbotenen Organisationen und Einrichtungen in Verbindung gebracht werden: den Koalitionen Batasuna, Euskal Herritarrok und Herri Batasuna, den Europawahllisten von Herritarren Zerrenda, mehreren Hundert lokalen Gemeinderatslisten, den Jugendorganisationen Jarrai, Segi und Haika, den Tageszeitungen Egunkaria und Egin, dem Radiosender Egin Irratia, der linken Organisation EKIN sowie den Amnestie- und Menschenrechtsorganisationen Gestoras Pro-Amnestia und Askatasuna. Im Baskenland haben in den vergangenen 2 Jahren mehrere Tausend das passive Wahlrecht verloren. De facto bedeutet das, dass die EHAK-Abgeordneten keine partei- oder jugendpolitische Erfahrung besitzen. Ob sich die neuen Parlamentarier in der Öffentlichkeit behaupten werden können, steht in den Sternen.
Unklar ist weiterhin auch, was das Wahlergebnis für den baskischen Konflikt als solchen bedeutet. Die spanischen Medien interpretierten das vergleichsweise schlechte Abschneiden von PNV-EA als Absage der Bevölkerung an den Ibarretxe-Plan – eine eigenwillige Auslegung des Ergebnisses. PNV-EA verlor v.a. an die Gruppe der Nicht-Wähler, von denen viele auch deshalb zu Hause geblieben sein dürften, weil die Ibarretxe-Regierung ihren vollmundigen Ankündigungen seit Jahren keine Taten folgen lässt und beispielsweise gegen das Verbot von Aukera Guztiak aus wahltaktischen Überlegungen nicht das Geringste unternahm. Offensichtlich spekulierten die Regierenden in Vitoria darauf, mit Hilfe der Verbote Stimmen gewinnen zu können. Gleichzeitig haben die für eine vollständige Unabhängigkeit eintretenden Listen EHAK und Aralar im Vergleich zu 2001 deutlich zugelegt. Wenn man die um 10 Prozent gesunkene Wahlbeteiligung berücksichtigt, ist die Stimmverteilung zwischen den Lagern konstant geblieben. Die für eine größere oder vollständige Unabhängigkeit von Madrid eintretenden Parteien erhielten vor 4 Jahren 52,7 Prozent der Stimmen; diesmal waren 53,4 Prozent (wobei die Befürworter einer vollständigen Unabhängigkeit von 10 auf 15 Prozent zulegten). Die zentralistischen PSE und PP, die 2001 41,0 Prozent erreichten, kamen diesmal auf 39,9 Prozent, während die für eine Stärkung des spanischen Föderalismus eintretende Ezker Batua – Izquierda Unida ihren Anteil von 5,5 Prozent in etwa hielt.
Die Patt-Situation hat dazu geführt, dass sich nun mit Ausnahme der PP alle Parteien für einen Dialog einsetzen. Sowohl Ministerpräsident Ibarretxe als auch der sozialdemokratische Kandidat Patxi Lopez nahmen nach den Wahlen Gespräche mit sämtlichen im Parlament vertretenen Parteien auf. Entgegen der Forderung der PP, EHAK als Vorfeldorganisation ETAs zu verbieten, haben sich die spanischen Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang auch mit der neuen Fraktion getroffen. Ministerpräsident Ibarretxe ging noch ein Schritt weiter und empfing im Rahmen seiner Sondierungsgespräche nicht nur die neuen Parlamentarier der Linken, sondern auch die Batasuna-Sprecher Pernando Barrena und Arnaldo Otegi.
In der baskischen Öffentlichkeit werden diese Gespräche als Hinweis auf eine politische Lösung interpretiert. Das Baskenland ist in den vergangenen Jahren in Bewegung geraten. PNV und EA haben sich in der Frage des Selbstbestimmungsrechts den Forderungen Batasunas angenähert. ETA hat mehrfach klar gestellt, dass man im Falle einer demokratischen Befragung der Bevölkerung den bewaffneten Kampf einstellen werde, und verübte seit 2003 keine tödlichen Anschläge mehr. Batasuna weist im Unterschied zu früher heute sehr deutlich darauf hin, dass das spanische Baskenland sprachlich und kulturell nicht nur baskisch, sondern eben auch spanisch geprägt sei und in diesem Sinne auch die Anhängerschaft der PP an einer politischen Lösung beteiligt werden müsse. Und schließlich reden auch Politiker der PSE in der Region wieder mit der Unabhängigkeitslinken.
Trotzdem muss man skeptisch bleiben, ob es zu Verhandlungen kommen wird. Die spanische Rechte übt massiven Druck auf die Zapatero-Regierung aus, um auch geringste Modifikationen der Autonomie-Regelung zu verhindern, und behauptet, die PSOE führe Geheimverhandlungen mit ETA – was die Untergrundorganisation dementiert. Die PSOE verhält sich vor diesem Hintergrund uneindeutig. Sie spricht sich zwar für „Dialog und Normalisierung im Baskenland“ aus, setzt die Repressionspolitik der alten Administration jedoch ungebrochen fort. Eine Humanisierung der Haftbedingungen für die mittlerweile 800 baskischen politischen Gefangenen – mehr als unter Franco – beispielsweise hat es nicht gegeben.
Letztlich ist das Dilemma stärker ein spanisches denn ein baskisches. So lange man in Madrid nicht begreift, dass das Phänomen ETA viel mit der frankistischen Erbschaft der Monarchie, der Verweigerung demokratischer Grundrechte und den bis heute systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen durch Guardia Civil, Policía Nacional und CESID-Geheimdienst zu tun hat, wird man den Konflikt nicht lösen können. Gesteht man sich hingegen diese Punkte ein, hätte der spanische Staat ein handfestes Legitimitationsproblem. Die verschwiegene Geschichte von Bürgerkrieg, Faschismus und frankistischer Kontinuität müsste aufgearbeitet werden. An einer solchen Lösung, die die Republik grundlegend transformieren würde, haben weder die Madrider Parteien – einschließlich Izquierda Unida – noch die europäischen Regierungen das geringste Interesse.
Raul Zelik