Bilbao en fiestas, schwüler Sommerabend. 20.000 Leute hängen, mehr oder weniger bekifft, auf den Wiesen des Plaza Gas herum, warten auf Manu Chao und johlen begeistert über die Christbaummuster am Nachthimmel: Feuerwerk. Es riecht nach Heu, Cidre und dem nächsten Joint. 500 Meter entfernt, am Fluss, der originellerweise Río Bilbao heißt, fluten noch einmal ein paar Zehntausend Leute zwischen den Txosnas, gigantischen Blechständen, hin und her. Jede linke Organisation hat hier ihren eigenen Ausschank: Amnestiekomitees, Anarchos, Frauengruppen, das proletarische Stadtteilkomitee von Ich-weiß-nicht-wo und natürlich die diversen als ETA-nah geltenden Jugend-, Arbeiter- und Internationalismusorganisationen. Gedrängel, aber trotzdem relaxte Atmosphäre. Ich treffe jemanden mit einem Kreuzberg 36-Hemd, "Skalitzer Höhe Görlitzer Bahnhof", sagt er und, dass er so etwas noch nie gesehen hat. Ich nicke. Geht mir ähnlich. Immer wieder. Beim Durch-die-Menge-schieben schütte ich jemandem die Hälfte vom Mojito, natürlich kubanisch, über die Hand, trotzdem fällt kein aggressives Wort. Die Leute sind besoffen, aber extrem entspannt. An den Ständen hängen Fotos von politischen Gefangenen, lila Wimpel gegen sexistische Angriffe, Transparente der ETA-nahen Jugendorganisation Segi gegen Zeitarbeit und prekäre Jobs. Mir fällt eine alte baskische Parole ein, "jaiak bai, borroka ere bai", kämpfen und feiern'. Irgendwie irreal. Als ob die Geschichte in diesem Land grundsätzlich anders verlaufen wäre als im Rest Europas, ein Rest 70er Jahre, aber auf südeuropäisch, das letzte gallische Dorf.

Von Borgs, Franco und baskischen Festen

Vom natürlich viel ansprechenderen Design einmal abgesehen erinnert der Kapitalismus an ein Borg-Raumschiff: Wir assimilieren alles. Zwar bleiben die Lebenswirklichkeiten auch nach der Ankunft des großen Kubus so ungleich wie eh und je - an Bord dürfen nur die Auserwählten - , aber dafür werden Kulturmodelle standardisiert, dass es jedem Werbe-Fuzzy eine wahre Freude sein muss: ein Produkt-Image für die ganze Welt. Nirgends in der EU merkt man das so sehr wie auf der iberischen Halbinsel. Vor 15 Jahren hieß es südlich der Pyrenäen noch, "das ist ja bald wie in Europa" oder "besser hätten die Europäer das auch nicht hingekriegt". Inzwischen jedoch schaut man, ohne es richtig zu merken, die gleichen Fernsehprogramme, träumt von den gleichen Einfamilienhäusern, kauft in den gleichen, parfümiert stinkenden Einkaufszentren ein wie überall. Das spanische Baskenland, in dem sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung in den vergangenen 30 Jahren gegen die von oben verordneten Modernisierungen (Eintritt in die NATO, Zerschlagung der Stahlindustrie, Bau von Atomkraftwerken, Stammdämmen und Autobahnen) gewehrt hat, stellt da keine Ausnahme dar. Und doch gibt es in dem kleinen Landstrich am Golf von Bizkaia ein paar Eigenheiten, die einem immer noch das Gefühl geben, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Die Art, wie man hier weggeht, zum Beispiel.

Im Sommer wird der Rhythmus der Leute zwischen 13 und 45 von der Festsaison bestimmt. Ob nun in 100-Seelendörfern oder Großstädten wie Bilbao - die baskischen Jaiak, für die die Übersetzung "Volksfest" ziemlich dumpfbacken klingt, sind der Mittelpunkt des Soziallebens. Wenn die (je nach Einwohnerzahl) 2 bis 9 Tage langen Feiern im eigenen Dorf oder Viertel vorbei sind, fährt man auf Feste in die nächstgelegenen Ortschaften. Auf die Weise hat jeder Sommer seinen festgelegten Ablauf: Im Juni in die Arbeitervororte San Sebastians Hernani und Andoain, danach zu den kollektiven Massenbesäufnissen in Iruñea, das auf Spanisch Pamplona heißt, Gasteiz (Vitoria) und Bilbao und schließlich zum Ausklang an die Küste nach Leikitio.

Man feiert bis zum Umfallen, denn was Partys betrifft, ist im Baskenland fast alles anders, als man es aus Deutschland kennt: Erstens geht man selbst in den kleinsten Käffern erst um eine Uhrzeit raus, zu der anderswo die Leute schon wieder nach Hause kommen, nämlich selten vor halb eins, zweitens herrscht eine angenehm uncoole und trotzdem auch bei den größten Alkoholexzessen freundliche Stimmung, und drittens begegnet man auf den Festen nicht nur anderen, sondern man geht tatsächlich auch mit ihnen zusammen weg. Der Jeder-ist-sich-selbst-der-nächste-Lifestyle hält zwar auch hier unübersehbar seinen Einzug, aber die Kultur der cuadrilla, der Clique, bestimmt immer noch das Bild. Man trifft sich mit den anderen, selten zu weniger als zu siebt, isst ein, zwei Stunden zusammen zu Abend, bis man kaum noch vom Stuhl hochkommt, gönnt sich eine Verdauungszigarre, einen Joint oder Cognac und zieht dann los. Die cuadrilla ist eine soziale Einrichtung - wer zu viel Drogen einpfeift, wird in ihr aufgefangen. Außerdem sorgt sie dafür, dass auch Leute mit wenig Kohle dabei sein können - Getränke werden prinzipiell nur für die Runde geholt. Und noch etwas ist anders als in Deutschland: Man bleibt nirgends länger als eine Viertelstunde. Nach einem 0,2 Liter-Bier wird zum nächsten Stand gezogen ... Damit man auch wirklich auf der Straße ist, in Bewegung bleibt, andere trifft.

Es gibt eine Menge Versuche, den baskischen Konflikt - von dem man im Ausland nur nach ETA-Anschlägen hört - mit den verschiedensten Nationalismus-Theorien zu erklären. Richtig weit kommt man dabei meistens nicht. Wer verstehen will, warum sich im Baskenland auch 26 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur mehr Menschen als sonstwo in Europa mit linken Bewegungen sympathisieren, wird auf den Festen mehr erfahren als beim Studium hölzern klingender Dokumente. Die baskische Kultur des Feierns ist eng verbunden mit politischem Widerstand - eine Art rebellischer Populärkultur, wenn man so will, in der sich Antifaschismus, baskischer Nationalpathos und rebellische Jugendbewegungen auf widersprüchliche Weise miteinander vermischt haben.

Auf den Fiestas von Bilbao wird das deutlicher als anderswo. Die "Große Woche von Bilbao" (das neben den von Hemingway im Roman "Fiesta" verwursteten San Ferminak-Feiern von Irunea größte Volksfest südlich der Pyrenäen) ist von der linken Opposition eingeführt worden. In der Franco-Diktatur wurde nämlich nicht nur die Linke verfolgt, sondern v. a. spanischer Nationalismus gepflegt, und das hieß: Diskriminierung der Minderheitenkulturen. So war die baskische Sprache verboten, die traditionellen Feste wurden katholisch-zentralstaatlich domestiziert, allgemein standen baskische, aber auch katalanische Traditionen im Verdacht, republikanisch, also "rot" zu sein. Vor diesem Hintergrund kümmerte sich die baskische Linke nach Francos Tod 1975 darum, die traditionellen Feste wieder neu zu etablieren. Allerdings was das nicht einfach eine Rückbesinnung auf die 'alten Werte'. Die Linke bestimmte in diesen Jahren unangefochten die Jugend- und Straßenkultur, und so sahen denn auch die Feste aus: partizpativ, dominiert von politischen Parolen, weitgehend frei von großen Kommerzveranstaltungen und städtischer Imagepflege. Den Verwaltern der spanischen Modernisierung ist es seitdem nur bedingt geglückt, diese Gestaltung öffentlichen Raums "von unten" zurückzudrängen. Auch heute noch ist das offizielle Programm der Stadtverwaltung von Bilbao - kostenlose Konzerte, das Feuerwerk, Ausstellungen - eher das Beiwerk zu den linken Ständen als umgekehrt. Das Zentrum des Fests bildet nach wie vor die Straße mit den Txosnas.

Ich bin mit Arantzazu und ein paar Freunden unterwegs. Sie ist nicht viel weniger beeindruckt als ich. Arantzazu hat die "große Woche" vor drei Jahren zum ersten Mal erlebt - obwohl sie aus Bilbao kommt. Bis '79 war sie wegen Kollaboration mit ETA políticio-militar (einer inzwischen aufgelösten Organisation) im Knast, danach floh sie auf die französische Seite, war ein paar Jahre im Untergrund und ging dann Mitte der 80er Jahre, als die GAL, von der sozialdemokratischen Regierung finanzierte Todesschwadrone, Attentate auf die Flüchtlinge im französischen Baskenland zu verüben begannen, nach Zentralamerika, um dort als Ärztin zu arbeiten. Zurück konnte sie erst 1997, nach fast 20 Jahren Exil.

Sie erzählt, dass der Bürgermeister, ein Typ von der regierenden Autonomiepartei PNV, die Txosnas aus der Innenstadt vertreiben will. Bilbao, das sich vor 2 Jahren ein Guggenheim-Museum zugelegt hat, bemüht sich um eine ordentliche Erscheinung - EU-Verhältnisse sozusagen. "Er hat sogar gefordert, dass die Stadtverwaltung für das Konzert von Manu Chao 8000 limitierte Eintrittskarten verteilt. Aber klar - die Leute sind dem alten Sack aufs Dach gestiegen." Auf die Weise sollte der erwartete Andrang für das kostenlose Konzert kontrolliert werden. Im Sinne des gepflegten Stadtbilds versteht sich. "Mit den Txosnas haben sie natürlich noch ein anderes Problem: Da hängen nicht nur politische Plakate rum, da wird auch die Arbeit der Organisationen mit finanziert."

Das System der Txosnas ist einfach, lustig und ziemlich beeindruckend. Um eine Ausschenke bei der "großen Woche" in Bilbao aufstellen zu dürfen, muss man eine Komparsengruppe gründen, eine Art Karnevalsverein, der sich zweimal im Jahr an den Umzügen in der Stadt beteiligt. Aus diesem Grund hat jede linke Organisation ihre eigene Folkloretruppe. Die Einnahmen gehen ohne Abzüge direkt in die Kasse der politischen Gruppen, denn alle Beteiligten in der Txosna arbeiten kostenlos. 'Alle Leute', das heißt: 6, 7 Personen pro Schicht mal drei Schichten täglich mal 9 Tage Fest - also locker 150 Menschen, die an sich der Organisation eines einzigen Stands beteiligen. Insgesamt ein paar Tausend Leute. "Da kann man mit gutem Gewissen das Geld raushauen", sagt einer aus der Runde. Und das tun wir denn auch. Für nichts anderes wird im Baskenland so viel Geld ausgegeben wie für das Weggehen - nicht für Urlaub, Autos, wahrscheinlich nicht mal für Eigentumswohnungen, die hier schwer angesagt sind. Und wir wollen ja nicht auffallen.

Ibiza Techno vs. Rock radical vasco

Am Stand eines Ökologiekomitees, was im Baskenland mit Körnerfressen null zu tun hat, treffen wir eine befreundete cuadrilla, es läuft baskischer Dub. Zufriedene Gesichter, bis eine Freundin besorgt feststellt, dass sich in den letzten Jahren etwas verändert hat - und zwar nicht zum Besseren. Europa hält Einzug, musikalisch meint sie: Der Siegeszug des Bacalau - der Stockfisch, wie Techno auf Spanisch heißt - sei nicht zu stoppen. "Ekelhaft", sagt sie.
Dass elektronische Musik im Baskenland das Image des angepassten des Jungkonservativen hat, dürfte zum einen daran liegen, dass man hier nur plumpeste Polka-Scheiße zu hören bekommt. Aber nicht nur daran. Auch musikalisch hat die Gegend immer ein bisschen anders getickt. HipHop hat hier nur 1993/94 kurz und vermittelt eine Rolle gespielt. Bestimmend für die Jugendbewegung war hingegen der rock radical vasco - baskischsprachige Punk-Hardcore-Ska-Sachen, deren wichtigstes Aushängeschild bis heute Fermin Muguruza ist. Der Musiker ist ein Phänomen. In den vergangen 15 Jahren hat er immer wieder den Sound, aber nie die politische Haltung gewechselt. In den 80er Jahren Mitbegründer der Punkrockband Kortatu, die einen Status wie bei uns Clash hatte, versuchte er sich Anfang der 90er mit Negu Gorriak am Hardcore-HipHop-Crossover à la Public Enemy & Beastie Boys. Inzwischen ist er beim Dub angekommen und produziert in seinem Gora Herriak-Label linke Bands aus ganz Lateinamerika, Spanien und Italien.

Der rock radical vasco ist nicht mehr dominierend, aber die Auswirkungen sind immer noch überall zu sehen. Wer an den txosna säuft, steht auf Hardcore, am liebsten baskischsprachig, aber auch Folklore, identifiziert sich mit Black Power oder anderen Unterdrückten in der Welt, und sieht ein bisschen schäbig aus: Zöpfchen und Vokuhila-Frisuren, Armbändchen, Lederketten, Ringelpullis. Klingt abschreckend, aber hat seinen Charme. Eben 70er-mäßig.

Neben uns grölt eine cuadrilla eine eingepunkte lateinamerikanische Revolutionshymne mit. "Das hier ist nicht mehr wie früher", sagt einer bei uns aus der Runde, "die gleiche konsumistische Scheiße wie überall." Ich grinse und nicke. Wenn sie wüssten ...

Raul Zelik

 

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