Martin Garitano und Larraitz UgarteDie Krise in Spanien weitet sich allmählich zu einer politischen Staatskrise aus. Zu schaffen macht Madrid nicht nur eine Arbeitslosigkeit von 25%, sondern auch das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegungen in den Regionen. Nachdem am katalanischen Nationalfeiertag am 11. September mehr als eine Millionen Menschen für eine Abspaltung von Spanien demonstrierten, hat die konservative Regierungspartei CiU Neuwahlen angesetzt und ein Referendum über das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens angekündigt.

Auch das Baskenland setzt sich zunehmend von Madrid ab. Nach dem Ende der ETA haben die spanischen Parteien PSOE und PP in der Region dramatisch an Bedeutung verloren. Bei den Regionalwahlen am Sonntag kamen die beiden großen spanischen Parteien zusammen nur noch auf 31%. Gewinnerin der Wahlen war die christdemokratische Baskische Nationalistische Partei mit 34% der Stimmen; die linkssozialistische Unabhängigkeitspartei Bildu blieb mit 25% etwas hinter den Erwartungen zurück, aber ist dennoch die einzige Partei, die klar zulegen konnte.

Eine Reportage über die Erfahrungen der linken Unabhängigkeitsbewegung in den Lokal- und Provinzregierungen.

Obwohl auch im spanischen Baskenland allerorten von der Krise die Rede ist – Ende September hat es den fünften Generalstreik in wenigen Monaten gegeben –, ist in den Küstenstädten der Biskaya auf den ersten Blick wenig von der Massenverarmung zu sehen, die Spanien erfasst hat. Zarautz, 25.000 Einwohner, zwanzig Autominuten westlich von der Provinzhauptstadt San Sebastián entfernt, macht einen geleckten, fast unangenehm herausgeputzten Eindruck. Die Strände der Umgebung gelten als Surfer-Paradies. An der Strandpromenade reihen sich Konzept-Restaurants aneinander, die öffentliche Infrastruktur macht einen gepflegteren Eindruck als in so mancher deutschen Großstadt, und Wohnungen kosten – obwohl die Immobilienpreise angeblich nachgegeben haben – nach wie vor über 4000 Euro der Quadratmeter.

Garikoitz Berasaluze und Inaki Eizagirre kommen zu spät zur Verabredung am Rathaus. Die beiden Stadträte gehören dem linken Wahlbündnis Bildu an, das im örtlichen Gemeinderat  9 von 21 Sitzen sowie den Bürgermeister stellt. Seitdem die ETA Ende 2010 den bewaffneten Kampf endgültig eingestellt hat, rollt die baskische Linke die politische Landschaft in der Region auf. Bildu, eine Koalition von sozialistischen und sozialdemokratischen Unabhängigkeitsparteien, stellt mittlerweile in 123 Gemeinden, darunter San Sebastián, Gernika und Mondragón, den Bürgermeister und entsendet die größte baskische Abgeordnetengruppe ins Zentralparlament in Madrid.

Eizagirre und Berasaluze berichten vom Anlass ihrer Verspätung und deuten auf die über den Straßen gespannten Transparente, auf denen die Freilassung kranker ETA-Gefangener gefordert wird. Nach spanischer Rechtssprechung gilt das Zeigen von Gefangenenfotos als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und wird mit Haftstrafen geahndet. In diesem Zusammenhang ist ein Kleinkrieg um die Transparente entbrannt: Die Regionalpolizei Ertzaintza hängt sie ab, sobald sie sie entdeckt, Anwohner befestigen die gleichen Transparente, oft unter den Augen der städtischen Lokalpolizei, innerhalb kürzester Zeit von Neuem. Denn für viele baskische Familien ist die Gefangenenfrage ein brennendes Problem. 700 Personen sitzen nach wie in Spanien in Haft, mindestens ein Viertel ausschließlich wegen Meinungsdelikten wie der versuchten Neugründung politischer Organisationen. Die Haltung Madrids hat sich nach dem Ende der ETA sogar noch weiter verschärft. Es scheint, als wolle sich die Regierung die Gefangenen als Faustpfand bewahren, um die politisch erstarkende Unabhängigkeitsbewegung auf Dauer in Schach halten zu können.

Doch dann kommen die beiden Gemeinderäte auch schnell wieder auf die Wirtschaftskrise zu sprechen. Die Arbeitslosigkeit im Baskenland liegt mit 14% zwar deutlich unter dem spanischen Durchschnitt (25%), doch die soziale Lage hat sich auch in der Region spürbar verschärft. V.a. die Wohnungssituation ist eskaliert. Nachdem die Regierungen in Madrid in den 1990er Jahren gezielt einen Immobilien-Boom in Gang setzten – wovon nicht zuletzt Banker, Bauunternehmer und die politische Klasse selbst profitierten – sind die Wohnungspreise explodiert. Die Bevölkerung wurde gezwungen, für ihre Wohnungen exorbitante Kredite aufzunehmen und sich teilweise über 40 Jahre zu verschulden. Da gleichzeitig die Arbeitsverhältnisse prekarisiert und die Löhne gedeckelt wurden, ist Arbeitslosigkeit heute fast zwangsläufig mit einer Zwangsräumung aus der eigenen Wohnung verbunden.

Dass man nicht mehr Obdachlose auf der Straße sehe, erzählt der 29-jährige Eizagirre, der als Stadtrat für Wirtschaft, Finanzen und Stadtplanung zuständig ist, habe allein damit zu tun, dass die Zwangsgeräumten bislang noch bei Familienangehörigen Zuflucht fänden. In Anbetracht der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei der Spielraum für eine alternative Lokalpolitik natürlich ausgesprochen klein. Trotzdem reagiert Eizagirre auf die Frage, ob man dann nicht auch ganz auf die Mitarbeit in Institutionen verzichten könne, überrascht. „Die baskische Linke war 12 Jahre verboten. Als wir mit Bildu endlich wieder die Möglichkeit hatten, an Wahlen teilzunehmen, war das wie beim Surfen: Du musstest die Welle nehmen. Es stimmt, dass wir hier nur kleine Sachen bewegen können. Nicht nur wegen der Finanzsituation, sondern auch wegen der Struktur im Ort selbst. Zarautz ist ein Tourismusort. Hier ist es viel schwerer, alternative Politik zu machen, als in Arbeiterstädten wie Hernani oder Arrasate, wo es eine lange Tradition der Selbstorganisierung gibt. Wenn wir hier ein Wohnungsbauprojekt vorschlagen, müssen wir uns erst mal den Arsch aufreißen, die Leute überhaupt auf Treffen zu bekommen.“ Trotzdem sieht der junge Stadtrat keine Alternative für eine Politik auch in den Institutionen. „Wir müssen zeigen, dass es anders geht: keine Großprojekte, Basisdemokratie und direkte Beteiligung der Leute, soziale Schwerpunkte im Gemeindehaushalt.“

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Auch in der Provinzregierung von Gipuzkoa sieht man das ähnlich. Seit 2011 stellt Bildu hier mit knapp 35% der Wählerstimmen eine Minderheitenregierung. Im Regierungsgebäude der „Diputación de Gipuzkoa“ ist nicht zu übersehen, wer hier im letzten Jahrhundert regiert hat: Das von alten Feudalmöbeln, schweren Vorhängen und bemalten Glasfenstern aus dem 18. Jahrhundert geprägte Gebäude atmet den Geist des Klerikalismus. Umso eigentümlicher ist es, den neuen Regierungsvertretern hier zu begegnen. Larraitz Ugarte, 36 Jahre alt, Soziologin und lange in Frauenorganisationen aktiv, leitet die Ministerialabteilung für Infrastruktur und Verkehr. Der Gesamthaushalt der Diputación de Gipuzkoa beträgt 750 Millionen Euro – kein Riesen-Etat, aber auch keine Kleinigkeit.

Auch Larraitz Ugarte widerspricht der These, dass man sich in Institutionen automatisch anpassen müsse. „Die größte Überraschung für uns war eigentlich festzustellen, wie einfach es ist, zu regieren – wenn man einigermaßen klar hat, was man politisch will. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass das Problem nicht in erster Linie mit den Zwängen von Institutionen als vielmehr mit der Existenz einer politischen Klasse zu tun hat. Das Problem ist dieses Berufspolitikertum, das mit der Zeit eigene materielle Interessen entwickelt.“

Für die vom linken Journalisten Martín Garitano geleitete Provinzregierung seien die Prioritäten hingegen klar, meint Ugarte. Gekürzt werde bei Großbauprojekten, mit denen sich in der Vergangenheit v.a. die Baukonzerne gesundgestoßen hätten, und nicht beim Sozialhaushalt. Man fördere den öffentlichen Nahverkehr anstatt den Autobahnbau, und habe Förderprogramme für die Regionalwirtschaft und Genossenschaften aufgelegt. Außerdem habe die Provinzregierung die Unternehmens-, Kapital- und den Höchstsatz der Einkommenssteuer in der Provinz angehoben. „Das hat dem Unternehmerverband nicht gut gefallen, aber auch nicht zur prophezeiten Kapitalflucht geführt“, merkt die junge Frau mit einem feinen Lächeln an.

Dass Ugarte davon überzeugt ist, sich dem Anpassungsdruck der Verwaltungsmaschinerie erfolgreich widersetzen zu können, hat nicht zuletzt mit ihrer politischen Biografie zu tun. Wie die meisten Funktionsträger von Bildu hegt sie wenig Illusionen, was das politische System angeht: Ihr Lebensgefährte saß von 1995 bis 2009 im Gefängnis, sie selbst hat unzählige Male Erfahrungen mit dem Polizeiapparat gesammelt. Ugarte weiß, dass sich die Linke in den Institutionen auf feindlichem Terrain bewegt und sieht doch keine Alternativen zu dieser Arbeit. „Unser Ziel ist die Gründung eines baskischen Staats und der Aufbau einer gesellschaftlichen Mehrheit für andere Wirtschafts- und Sozialpolitik. Um das durchzusetzen, müssen wir in den Institutionen präsent sein. Wir müssen Madrid zwingen, uns wahrzunehmen, und wir zeigen, dass es eine radikal andere Politik möglich ist.“ Und wenn die anderen Parteien sich – wie schon öfter angekündigt – zusammentun, um die Minderheitenregierungen Bildus in der Provinz und den Gemeinden zu stürzen? „Dann gehen wir zufrieden, weil wir wissen, dass wir nicht alles falsch gemacht“, sagt die junge Frau lachend.

Raul  Zelik

 

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