Der Militärschlag gegen die FARC richtete sich vor allem gegen eine Verhandlungslösung im Geiseldrama
WOZ 6. März. 2008
Die Regierung Uribe feiert den Tod des FARC-Kommandanten Raúl Reyes, der am vergangenen Freitag in einem Urwaldgebiet Ecuadors ermordet wurde, als großen Sieg. Der Leichnam des Guerillakommandanten, Nummer 2 der kommunistischen FARC, wurde von Soldaten in Bogotá regelrecht als Trophäe präsentiert. Für Uribe ist die Aktion der lang ersehnte Beweis, dass die Politik der „Demokratischen Sicherheit“ Erfolge zeitigt. Die Botschaft scheint anzukommen: Nach neuesten Umfragen, so die Uribe-nahe Tageszeitung El Tiempo, kann der Präsident auf die Unterstützung von 83 Prozent der Kolumbianer zählen. Dass Ecuador und Venezuela nach der Aktion ihre diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland abbrachen und Truppen an die Grenze verlegten, scheint weniger zu stören. In Bogotá gibt man sich überzeugt, dass die Nachbarländer mit der Guerilla unter einer Decke stecken. So präsentierte man, unmittelbar nachdem die meisten südamerikanischen Staaten den Angriff auf ecuadorianisches Staatsgebiet verurteilt hatten, Dokumente, wonach die Regierung in Quito mit der Guerilla kooperiere. Venezuela warf man sogar vor, die FARC mit 300 Millionen US-Dollar unterstützt zu haben.
Auch wenn diese Beschuldigungen in internationalen Medien breit aufgegriffen wurden, ist die Faktenlage genau andersherum. Die Eskalation begann mit einer Lüge Uribes. Der kolumbianische Präsident teilte seinem Amtskollegen in Quito Rafael Correa am vergangenen Freitag zunächst mit, kolumbianische Militärs seien von ecuadorianischem Staatsgebiet aus angegriffen worden und hätten das Feuer erwiderten. Gegenüber der einheimischen Presse ließ Uribe sogar verlautbaren, die Aktion gegen die FARC sei mit Genehmigung Quitos erfolgt.
Filmmaterial der kolumbianischen Streitkräfte und Ermittlungen der ecuadorianischen Behörden förderten dann einen ganz anderen Tathergang zutage. Die US-Luftüberwachung, die in Kolumbien mit AWACS-Maschinen, Flugdrohnen und Spionagesatelliten im Einsatz ist, hatte Raúl Reyes in einem 2 Kilometer südlich der Grenze gelegenen FARC-Camp anhand einer Funküberwachung geortet. Spezialeinheiten der Armee waren daraufhin ins Nachbarland eingesickert. Ohne die ecuadorianische Autoritäten zu informieren, wurden die schlafenden Rebellen im Morgengrauen des 1. März aus der Luft mit Cluster-Bomben angegriffen. Reyes, der den Angriff verwundet überlebte, versuchte zu fliehen, wurde von Eliteeinheiten jedoch gestellt und erschossen. Um den militärischen Sieg beweisen zu können, entführten die Kolumbianer den Leichnam Reyes’ ins Nachbarland und führten ihn in Bogotá dem Fernsehen vor.
Die Präzision, mit der die Aktion erfolgte, legt die Vermutung nahe, dass US-Militärs an Planung und Durchführung federführend beteiligt waren. Auch die mediale Darstellung der Aktion scheint bestens durchdacht. Unmittelbar nach dem Militärschlag setzte in Kolumbien eine nationalistische Mobilmachung ein, der sich nicht einmal die linke Oppositionspartei PDA vollständig entziehen konnte. Auffällig ist weiterhin, dass alternative Nachrichtenquellen präventiv „abgeschossen“ wurden. Parallel zur Aktion in Ecuador wurden die allgemein bekannten FARC-nahen Websites durch Hackerangriffe ausgeschaltet.
Für Ecuador stellt dieser „Angriff mit Unterstützung ausländischer Mächte“, wie es Präsident Correa in Quito ausdrückte, nicht nur wegen der Verletzung der Souveränität eine Provokation dar. Noch empörter ist man in Quito darüber, dass die Regierung Correa und ein knappes Dutzend weiterer Staaten zuletzt in der kolumbianischen Geiselaffäre als Vermittler eingeschaltet worden waren. Der Kontaktmann der FARC bei diesen Gesprächen war niemand anderes als Raúl Reyes. Präsident Correa zufolge hatte man mit dem FARC-Sprecher eine Vorvereinbarung über die Freilassung von elf Geiseln getroffen – darunter auch die 3 CIA-Mitarbeiter, die 2003 bei einer Geheimdienstmission abgeschossen worden waren, und die französisch-kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt.
Die Ermordung von Reyes kann in dieser Hinsicht nur als gezielter Schlag gegen eine Verhandlungslösung des seit bald 10 Jahren andauernden Geiseldramas gewertet werden. Allmählich beginnt einem zu dämmern, warum der strammrechte Uribe ausgerechnet seinen linken Amtskollegen Chávez im Sommer 2007 erst zum Vermittler in der Geiselaffäre ernannte und dann unmittelbar vor einer Lösung ohne jede Vorankündigung wieder entließ. Kolumbianische und US-Geheimdienste nutzten die diplomatischen Bemühungen Venezuelas offensichtlich dazu, um die Kommunikationskanäle der Guerilla auszuforschen. Zumindest starb Reyes, weil er bei diplomatischen Kontakten auf ein Satellitentelefon zurückgriff und dadurch geortet werden konnte.
Eine politische Lösung des Geiseldramas hat die Regierung Uribe damit wieder einmal wirkungsvoll verhindert. Die militaristische Begeisterung, die Kolumbien in den letzten Wochen erfasste, macht vergessen, dass mittlerweile 22 Abgeordnete von Uribes Regierungskoalition wegen Verbindungen zu rechten Todesschwadronen im Gefängnis sitzen. Und die „Enthüllungen“ der kolumbianischen Polizei dürften den internationalen Druck auf die Linksregierungen in Quito und Caracas noch einmal deutlich erhöhen.
Raul Zelik