Pastrana: Das freundliche Gesicht einer Kriegsregierung
(Artikel über die Verhandlung- und Aufrüstungsstrategie der Regierung Pastrana, Frühjahr 2001)
Während seiner Europa-Rundreise im April zeigte sich der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana von seiner friedliebendsten Seite. Man werde die Verhandlungen mit der Guerilla fortführen, die Drogenbekämpfung nicht weiter militarisieren und verstärkt auf soziale Hilfsprogramme setzen, erklärte er und wiederholte damit, was seine europäischen Gastgeber hören wollten. Die Absicht hinter dem moderaten Auftreten war leicht zu durchschauen: Jene Kritiker, die den im Wesentlichen auf Militärhilfe setzenden Plan Colombia für einen verkappten US-Interventionsplan halten, sollten besänftigt werden. Und tatsächlich kamen Pastranas Erklärungen in Europa gut an. Die EU-Verantwortlichen zeigten sich zwar auch nach dem Besuch skeptisch gegenüber der Politik Washingtons in der Andenregion, verpflichteten sich gleichzeitig aber zu einer finanziellen Unterstützung Pastranas in Höhe von 300 Mio Euro.
Dabei kann der Kontrast zwischen Außendarstellung der Regierung und der Wirklichkeit im Land kaum extremer ausfallen: Dem neuen amnesty-Bericht zufolge, ist die traditionell enge Zusammenarbeit zwischen Armee und Paramilitärs in Kolumbien im vergangenen Jahr weiter vertieft worden. Die Aufrüstung der Streitkräfte geht dank einer US-Finanzspritze in Höhe von 1 Milliarde Dollar in Riesenschritten voran, und als Folge des gewachsenen Selbstbewusstseins plädiert ein größer werdender Teil des kolumbianischen Establishments, darunter auch Minister der Pastrana-Administration, für eine militärische Lösung des Konflikts. Die Friedensprozesse hingegen, mit denen Präsident Pastrana im Ausland für sich wirbt, stehen an einem kritischen Punkt. Das guevaristische Nationale Befreiungsheer (ELN) hat im April sämtliche Gespräche mit der Regierung in Bogotá ausgesetzt, und die Kontakte mit den größeren, kommunistischen Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) konnten nur gerettet werden, weil die Regierung nach monatelanger Hinhaltetaktik endlich das bereits im Januar unterzeichnete Abkommen über den Austausch kranker Kriegsgefangener umsetzte. Die Freilassung von 15 Guerilleros und 42 Armee- und Polizei-Angehörigen am Pfingstwochenende wurde zwar allerortens mit Erleichterung aufgenommen, bedeutet aber noch keine dauerhafte Entspannung im kriselnden Friedensprozess.
Der Konflikt mit der ELN
Tatsächlich hat die Pastrana-Administration in den 3 Jahren ihres Mandats sehr viel weniger für eine politische Lösung des Bürgerkriegs getan, als gemeinhin angenommen wird. Besonders deutlich wird das bei den Auseinandersetzungen um das 350 Kilometer nördlich von Bogotá gelegene Departement Bolívar. Dort, in den verkehrtstechnisch kaum erschlossenen Bergwäldern der Serranía San Lucas, besitzt die ELN-Guerilla seit Anfang der 70er Jahre ihre wichtigste Bastion. Etwa ein Fünftel der 6000 ELN-Guerilleros sind hier konzentriert, und es war lange Zeit die Guerilla, die als eine Art Parallel-Regierung in der Region Gesundheitsposten finanzierte, Mindestlöhne festsetzte und Teile des Regenwalds vor Kahlschlag schützte. Die Lebensbedingungen der Kleinbauern, Indígenas und Goldschürfer hatten zwar wenig mit den romantischen Vorstellungen eines "befreiten Gebiets" zu tun, aber immerhin existierte in der Region eine Ordnungsmacht, die gewisse Mindeststandards garantierte und der Korruption einen Riegel vorschob.
Seit 1998 ist es mit dem relativen Frieden im Department Bolívar vorbei. Damals formierte sich ein skurril anmutendes, für Kolumbien jedoch nicht untypisches Bündnis zur Rückeroberung der Region: Dem US-kanadischen Unternehmen Corona Goldfields ging es v. a. um den freien Zugang zu den Goldvorkommen der Serranía, die als die reichsten Lateinamerikas gelten. Die Strategen im kolumbianischen Generalstab setzten sich zum Ziel, einen von der Grenze Panamas bis nach Venezuela reichenden Militärkorridor zu etablieren (um so die Versorgungswege der Guerilla dauerhaft zu unterbrechen), und die mit der Armee kooperierenden Paramilitärs interessierten sich schlichtweg für die zum Koka-Anbau bestens geeigneten Täler der Bergwaldregion.
Die anlaufenden Operationen richteten sich - ganz nach dem Motto 'dem Fisch das Wasser entziehen' - gegen die Zivilbevölkerung. Wie Bauernorganisationen der Region mehrfach erklärten, schützten Streitkräfte und Luftwaffe den Vormarsch der Paramilitärs in die Region. Die Vorgehensweise der Todesschwadrone entsprach dem in Kolumbien gängigen Muster. Zunächst wurden selektive Morde an Aktivisten sozialer Organisationen verübt, es folgten Massaker und Vertreibungen, und schließlich wurde über die Ausweitung des Koka-Anbaus (der von der ELN im Gegensatz zur FARC bekämpft wird) eine ökonomische Verbindung zwischen Teilen der Bevölkerung und den Paramilitärs aufgebaut.
Um diese Entwicklung zu stoppen, setzten sich bereits im August 1998 10.000 Menschen aus der Region in Bewegung und versuchten, die damals neu angetretene Regierung Pastrana in die Pflicht zu nehmen. Doch der 'Friedenspräsident' ließ gegen die Protestierer nicht anders vorgehen, als es die Regierungen vor ihm getan hatten. Vor der US-Botschaft in Bogotá protestierende Goldschürfer wurden vertrieben und (mit Einwilligung des Erzbischofs) auch aus der Kathedrale der Hauptstadt geräumt. Den 10.000 Demonstranten in der Erdölstadt Barrancabermeja hingegen, die zu zahlreich waren, um verhaftet zu werden, machte Pastrana im Oktober 1998 weit reichende Versprechungen. Er unterzeichnete ein Abkommen zum Schutz der Menschenrechte im Department Bolívar und verpflichtete sich zum Kampf gegen die Paramilitärs.
Wie die meisten in den vergangenen 20 Jahren zwischen Regierung und Protest-Bewegungen getroffenen Vereinbarungen wurde auch diese nie in die Tat umgesetzt. Die in Menschenrechtsverletzungen verwickelten Armee-Einheiten wurden nicht, wie versprochen, zurückgezogen, die selektiven Morde gingen weiter, zu Aktionen gegen die Paramilitärs kam es nicht. Edgar Quiroga, Anführer der Proteste, wurde 1999 von der Armee verhaftet und an die Paramilitärs übergeben, die ihn daraufhin zu Tode folterten. Insgesamt sind seitdem in der Region 600 Menschen getötet worden, viele Tausend Bauern sind auf der Flucht. Die Kooperation zwischen Todesschwadronen und Militärs in der Region geht inzwischen so weit, dass sich nach Aussagen der Bauernorganisation Asociación Campesina del Río Cimitarra reguläre Armee-Einheiten nach Bedarf in Paramilitärs verwandeln, Massaker begehen und wieder zu normalen Soldaten werden.
Doch das paramilitärische Projekt in Kolumbien beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Repression. Da der Süden Bolívars im Zusammenhang mit den Friedensgesprächen mit der ELN (siehe Kasten) zum Politikum geworden ist, hat die Ultra-Rechte in der Region auch mit politischen Aktivitäten begonnen. Um die Demilitarisierung des Gebiets für die Gespräche zwischen Gesellschaft und der ELN zu verhindern, blockierte die so genannte "Bewegung gegen die Räumung" im Jahr 1999 und 2000 mehrmals die Überlandstraßen zwischen Landesinnerem und Atlantikküste. In den Medien wurde die Aktionen als Bevölkerungsproteste gegen die Guerilla interpretierte. Wer jedoch in der Region nachforschte, konnte feststellen, dass die Bewegung von Armee und Paramilitärs inszeniert worden war. In den Gemeinden San Pablo und Simití (beide Bolívar) berichteten Bewohner, von den Paramilitärs zur Teilnahme an den Protesten gezwungen worden zu sein. Außerdem sei der Transport zu den Demonstrationsorten von den Streitkräften organisiert worden.
Die Ultra-Rechte formiert sich
Die ELN-Guerilla versuchte ihrerseits politischen und militärischen Druck für die Demilitarisierung des südlichen Bolívars auszuüben. Sie trug den Krieg im vergangenen Jahr in die Millionenstadt Cali, wo sie in einem Villenviertel mehr als 100 Kirchgänger entführte, blockierte wochenlang die wichtigsten Straßenverbindungen, und bemühte sich gleichzeitig auf internationalem Parkett um die Einrichtung einer Überwachungskommission für die geplante demilitarisierte Zone. Das Konzept schien zunächst aufzugehen: Ähnlich wie im Fall der FARC zwei Jahre zuvor reagierte die Pastrana-Regierung auf den Druck und unterzeichnete im Dezember 2000 ein 100 Punkte umfassendes Dokument zur Einrichtung der so genannten Zona de Encuentro, die anders als das von den FARC kontrollierte Gebiet im Süden des Landes allerdings nicht als militärisches Rückzugsgebiet genutzt werden dürfte. Doch obwohl die Vereinbarung unter Beteiligung der neu gegründeten Überwachungs-Kommission, der so genannten "Gruppe befreundeter Länder" (Spanien, Frankreich, Norwegen, Kuba und der Schweiz), zustande kam, beließ es die Pastrana-Regierung danach bei der Absichtserklärung. Anstatt des Armee-Rückzugs wurde im März diesen Jahres eine neue Offensive in der Region eingeleitet. Die Ortschaft Vallecito, in der sich kurz zuvor Regierungsunterhändler mit der ELN-Führung getroffen hatten, wurde zum dritten Mal innerhalb von 18 Monaten völlig zerstört. Gleichzeitig besprühten Polizei-Flugzeuge im Rahmen des Anti-Drogen-Programms das Gebiet mit Herbiziden - und zwar auch in Tälern, in denen es gar keinen Koka-Anbau gibt.
Seitdem wird darüber spekuliert, ob sich Präsident Pastrana in der Frage der Friedensverhandlungen nicht gegen die Militärs durchsetzen will oder es nicht kann. Tatsache ist, dass die Ultra-Rechte in Kolumbien zahlreiche Anstrengungen unternimmt, um sich als politische Kraft zu profilieren und an eigener Stärke zu gewinnen. Die wichtigsten Köpfe dieser Bewegung sind - neben dem Paramilitärkommandanten Carlos Castaño - der Ex-Armee-Chef Haroldo Bedoya sowie der ehemalige Gouverneur von Antioquia, der Liberale Alvaro Uribe Vélez. Protegiert vom Chef des größten kolumbianischen Wirtschaftskonsortiums, dem Industriemagnaten Ardila Lülle, und dessen Fernsehsender RCN haben alle drei in den vergangenen Monaten immens an Popularität gewonnen. Bedoya und Uribe Vélez gelten als aussichtsreiche Kandidaten für den Präsidentschaftswahlkampf 2002, und Carlos Castaño, der einen erheblichen Teil des kolumbianischen Drogenhandels kontrolliert und für Hunderte von Massakern verantwortlich ist, genießt in den städtischen Mittelschichten wachsenden Zuspruch.
Beunruhigend ist jedoch nicht nur die wachsende Akzeptanz der Ultra-Rechten in Kolumbien selbst, sondern auch die Tatsache, dass jene immer wieder auf die Rückendeckung der US-Geheimdienste zählen konnten. Der in den USA ausgebildete General a. D. Haroldo Bedoya hat als Armee-Chef eng mit dem Pentagon kooperiert, Ex-Gouverneur Uribe Vélez zählte u. a. bei der Festnahme des deutschen Agenten Mauss auf die Unterstützung der US-Sicherheitsdienste, und die vom Medellín-Kartell abtrünnigen Castaño-Brüder Fidel und Carlos wurden 1989-93 im Krieg gegen den Drogenbaron Pablo Escobar regelrecht von der CIA aufgebaut. Im vergangenen Jahr deckte der Miami Herald auf, dass Carlos Castaño über seinen Vertrauten Nicolás Vergonzoli, noch mindestens bis 1999 Kontakte zur DEA unterhielt - ein Umstand, der amnesty international im Mai dazu veranlasste, Einsicht in die Geheimdienstakten in Washington zu verlangen. Durch den Druck der Menschenrechtsorganisationen hat sich die US-Regierung nun zwar gezwungen gesehen, die Paramilitärs auf ihre Liste der terroristischen Organisationen zu setzen, doch hochrangige US-Militärs, wie etwa 'Drogen-Zar' Barry McCaffrey, sehen die Paramilitärs immer noch eher als "außerhalb des Gesetzes operierende Selbstverteidigungsgruppen" (McCaffrey) als als Terroristen.
Machtkämpfe oder Arbeitsteilungen?
Gegen die These, dass Präsident Pastrana von der Ultra-Rechten schleichend entmachtet wird, gibt es ein gewichtiges Argument: Von offenen Konflikten zwischen Pastrana und den Rechten in der Armee ist nicht viel zu merken. Man droht sich gelegentlich verhohlen, aber belässt es denn auch dabei. Viel wahrscheinlich ist daher, dass eine Art Arbeitsteilung zwischen beiden Seiten existiert - hier die Militärs für die schmutzigen Aufgaben, da der Demokrat, der die finanzielle Unterstützung im Ausland organisiert. Weiter verwunderlich wäre das nicht, immerhin stehen beide Seiten für die Aufrechterhaltung des Stauts Quo. Präsident Pastrana, der aus einer alten konservativen Politikerfamilie stammt, gehört zu den traditionellen Eliten des Landes und strebt, wie die Ultra-Rechte, Investitionsfreiheit, Privatisierungen und Einschnitte im Sozialwesen an. Seine Wirtschafts- und Sozialpolitik hat die dramatische soziale Situation, die für den Bürgerkrieg im Land entscheidend mitverantwortlich sind, weiter verschärft. Und schließlich muss man auch andersherum berücksichtigen, dass Pastrana für die Militärs ein guter Präsident ist. Gerade wegen seiner Friedensrhetorik verfügt die Armee nun über Militärhilfe in einer noch nie da gewesenen Höhe.
Dass kleinere Konflikte bisweilen auch als sinnvolle Arbeitsteilung zu interpretieren sind, kann im übrigen auch auch für die Auseinandersetzungen über die Kolumbien-Politik der EU und der USA sagen. So betonte EU-Kommissar Chris Patten zwar unlängst, Kolumbien sei für die Europäer der Testfall einer gegenüber den USA eigenständigen (sollte wohl heißen: weniger militärischen) Außenpolitik, aber auf einen Konflikt wird es die EU nicht ankommen lassen. So wie Pastrana und seine Generäle in vieler Hinsicht am gleichen Strang ziehen, werden auch die USA und die EU 'friedlich' koexistieren. Während die ersten die kolumbianische Armee aufrüsten, zahlen die zweiten jene Sozialprogramme, die die Regierungspolitik gegen Proteste absichern soll.
Frieden durch eine Nationalkonvention?
Die kolumbianischen Guerilla-Organisationen FARC und ELN besitzen unterschiedliche Vorstellungen von einem Friedensprozess. Während die militärisch stärkeren FARC auf bilaterale Gespräche mit der Regierung setzen und seit Anfang 1999 in einem 40.000 Quadratkilometer großen, von der Armee geräumten Gebiet in Südkolumbien mit der Pastrana-Regierung über soziale und politische Reformen sprechen, hat sich die guevaristische ELN nicht weiter an bilateralen Verhandlungen mit dem Staat interessiert gezeigt. Ein dauerhafter Frieden könne nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg erreicht werden, so die ELN. Um die Debatte über die notwendigen Transformationen im Land breiter zu verankern, schlug die Guerilla-Organisation 1996 die Durchführung einer so genannten Nationalkonvention vor. In acht, über ein Jahr verteilten Sitzungen sollten 300 Vetreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in einem von der ELN kontrollierten Gebiet, der so genannten zona de encuentro, über die Aspekte der kolumbianischen Krise diskutieren. Ergänzend dazu sollten Vorbereitungsforen abgehalten werden, an denen auch Nicht-Delegierte teilnehmen könnten. "Wir wollen denen eine Stimme geben", so ELN-Sprecher Pablo Beltrán, "die sonst nie gehört werden." Internationaler Druck und die drohende Verschärfung des Bürgerkriegs veranlassten die wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen Mitte 1998 dazu, diesen Vorschlag anzunehmen. Unter Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz unterzeichneten Vertreter von kolumbianischen Unternehmerverbänden, Kirchen und Parteien gemeinsam mit der ELN und den Gewerkschaften ein Abkommen über die Durchführung der Nationalkonvention. Die Umsetzung des Abkommens scheiterte jedoch an der Verweigerungshaltung der Regierung, die der Entmilitarisierung der Zona de Encuentro im Süden des Departments Bolívar zustimmen musste. Präsident Pastrana erklärte zwar, die Nationalkonvention zu unterstützen, und unterzeichnete auf massiven politischen Druck hin sogar ein detailliertes Abkommen über die Einrichtung der Zone, setzte die Vereinbarung jedoch nicht um. Gegen die Vereinbarung hatten sich v. a. US-Berater, der kolumbianische Generalstab sowie führende Industrielle um den Konzernmagnaten Ardilla Lülle ausgesprochen.
Raul Zelik