Protestwelle gegen Uribes Wirtschaftspolitik
(WOZ 30. September 2004)
Glaubt man den Meinungsumfragen, gehört Alvaro Uribe nach wie vor zu den populärsten lateinamerikanischen Staatschefs. Doch das Tagesgeschäft gestaltet sich für den kolumbianischen Präsidenten zur Zeit alles andere als erfreulich. Die Verhandlungen mit den Paramlitärs werden zuletzt auch in den regierungsnahen Zeitungen El Tiempo und Semana wegen der massiven Beteiligung des Drogenhandels kritisiert, und gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik Uribes artikuliert sich in diesen Wochen lautstarker Widerspruch.
Der Auftakt zu den Protesten, die das Panorama in Kolumbien im September bestimmten, bildete eine Demonstration von 20.000 Menschen in Bogotá gegen das Freihandelsabkommen ALCA und Uribes Bestrebungen, sich mit einer Verfassungsänderung eine Wiederwahloption zu eröffnen. Wenige Tage später marschierten mehr als 50.000 Indígenas nach Cali und forderten die Respektierung ihrer Autonomiegebiete, die Einhaltung der Menschenrechte und die Nicht-Unterzeichnung des ALCA-Abkommens. Die „Große Minga (Gemeinschaftsarbeit) für das Leben und die Würde der Völker“, die von Korrespondenten als einer der größten Indígena-Märsche der letzten Jahre in Lateinamerika bezeichnet wurde, wandte sich mit ihren Forderungen zwar auch an die Guerilla, doch das Hauptgewicht des Protests galt der Entwicklungspolitik der Regierung.
Die dritte Protestwelle schließlich geht mittlerweile in die dritte Woche. Die in der Asociación Colombiana de Camioneros organisierten LKW-Fahrer haben die Arbeit niedergelegt und blockieren zum Teil die Überlandstraßen. Die Regierung in Bogotá bekräftigt zwar, die Proteste der Transportunternehmer beeinträchtigten den Verkehr zu weniger als 10 Prozent, doch von den Lebensmittelmärkten werden deutliche Preisanstiege vermeldet. Zudem sind die Exporte in Buenaventura, dem wichtigsten Überseehafen am Pazifik, stark eingeschränkt, weil die Lagerhallen wegen des Streiks überfüllt sind.
Bemerkenswerterweise richten sich auch die Proteste der Transportunternehmer gegen Uribes Wirtschaftspolitik. Der Camionero-Verband ACC kritisiert die Regierung in zwei sensiblen Fragen. Zum einen weist er darauf hin, dass die kolumbianischen LKW-Fahrer unverhältnismäßig viel Straßengebühren zahlen müssten. Während in Ecuador nur ein halbes Dutzend kostenpflichtiger Strecken existierten, seien es in Kolumbien 138. Jeder kolumbianische LKW zahle damit im Jahr eine durchschnittliche Straßengebühr von 8000 Euro. Die hohen Kosten für die Straßennutzung jedoch sind Folge der neoliberalen Privatisierungspolitik.
Der zweite Kritikpunkt der Transportunternehmer ist für die Regierung noch unangenehmer. Die LKW-Branche ist nämlich v.a. auch deshalb in der Krise, weil ein Teil der LKW-Unternehmen unter den staatlich abgesegneten Preisen fährt. Bei den Tarif-Dumpern handele es sich, so der Camionero-Verband ACC, um Drogenhändler, die mit Investitionen in den Transportsektor Drogengelder wüschen. Da sie mit ihren Fahrzeugen keine Rentabilität erzielen müssten, sondern v.a. als arbeitende Unternehmer erscheinen wollten, nähmen sie jeden Auftrag an. Für die Regierung Uribe ist dieser Hinweis peinlich, steht er doch in Widerspruch zu ihrer angeblich so entschlossenen Drogenbekämpfungspolitik.
Der Präsident reagiert in Anbetracht der Situation zusehends nervös. Mitte September trat der Chef des staatlichen Statistikbehörde DANE Cesar Caballero „aus moralischen Gründen“ zurück, nachdem Uribe ihm die Veröffentlichung einer für die Regierung nicht sehr schmeichelhaften Untersuchung über das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung untersagt hatte. Nach der Umfrage fühlten sich 75% der Kolumbianer trotz der restriktiven Innenpolitik des Präsidenten unsicher. Bereits im April war Uribe mit dem DANE-Chef Caballero zusammengestoßen, der bis dahin als enger Vertrauter des Präsidenten gegolten hatte. Damals veröffentlichte das DANE eine Statistik, wonach der Anteil der armen Bevölkerung von 55,7% im Jahr 1997 auf 66,3% im Jahr 2003 gestiegen sei. Uribe, heißt es, habe den Chef des Statistikbehörde daraufhin angewiesen, Armut anders als bisher zu definieren.
Raul Zelik
