Die kolumbianischen Guerillas FARC und ELN wollen zusammenarbeiten - der Konflikt zwischen Kolumbien und den Nachbarländern schwelt weiter
veröffentlicht in WOZ 24. Dezember 2009
Als die kolumbianischen Guerillas FARC und ELN vergangene Woche erklärten, dass sie der Konfrontation untereinander ein Ende setzen und sich von nun an auf gemeinsame Ziele besinnen wollten, fand das in der kolumbianischen Öffentlichkeit nur ein bescheidenes Echo. Zu oft sind die Vereinigungsbestrebungen der Guerillas, die sich beide als sozialistisch bezeichnen und positiv auf die Linksregierungen auf dem Kontinent beziehen, in der Vergangenheit gescheitert. Doch die veränderte geopolitische Lage spricht dafür, dass den Ankündigungen diesmal auch Taten folgen könnten.
Die Konflikte zwischen FARC und ELN reichen bis in die 1960er Jahre zurück. Während die FARC aus einer moskautreuen KP hervorgingen, wurde die ELN von der Aufstandstheorie Che Guevaras und der Befreiungstheologie geprägt. So galten die einen als „reformistische Wahltaktierer“, die anderen als „kleinbürgerliche, radikale Abenteurer“.
Durch den Zusammenbruch des staatssozialistischen Lagers wurden die Karten ab 1990 neu gemischt. Die FARC nahmen verstärkt Bezug auf den antiimperialistischen Bolivarianismus, wie er von lateinamerikanischen Nationalisten schon damals propagiert wurde. Kulturell jedoch blieben die FARC ihren Wurzeln treu und bekräftigten einen stalinistisch anmutenden Führungsanspruch. Die Guerilla-Allianzen, wie etwa die zwischen 1987 und 1993 existierende Guerillakoordination Simón Bolívar, blieben vor diesem Hintergrund stets fragil.
Verschärft wurden die Probleme dadurch, dass sich die Politik von FARC und ELN in den 1990er Jahren inkompatibel zueinander entwickelte. Nachdem die kolumbianischen Eliten die von den FARC im Rahmen eines Friedensabkommens gegründete Linkspartei Unión Patriótica faktisch eliminieren lassen hatte, entschloss sich die Guerillaorganisation zu einer militärischen Kehrtwende. Aus den eher defensiv aufgestellten FARC wurde eine schlagkräftige Armee, die zur Zivilbevölkerung oft nur noch oberflächliche Beziehungen unterhielt und ihre ehrgeizigen Militärpläne mit dem massiven Anbau von Koka finanzierte.
Die ELN hingegen, die bis 1990 oft mit dem Adjektiv „militaristisch“ bedacht worden war, entwickelte nun das so genannte „Volksmacht“-Konzept und propagierte die Stärkung sozialer Bewegungen und Selbstverwaltungsstrukturen. Der profitträchtige Anbau von Koka gefährdete aus Sicht der ELN dieses politische Projekt, weil er einen extremen Individualismus befördere. Aus diesem Grund widersetzte sich die Organisation dem Koka-Anbau und trieb Substitutionsprojekte voran.
Dieser handfeste Widerspruch heizte den Konflikt zwischen den Guerillas in den Folgejahren so weit an, dass beide Seiten sich gegenseitig der Kollaboration mit Paramilitärs oder Armee bezichtigten.
Durch die Erklärung von vergangener Woche ist dieses Konfliktpotenzial nun nicht ausgeräumt. Das Misstrauen zwischen den Guerillas ist nach wie vor groß. Doch offensichtlich haben die Führungen von FARC und ELN erkannt, dass Lage im nördlichen Südamerika zu eskalieren droht.
Tatsächlich ist die Stimmung zwischen dem rechtsregierten Kolumbien und den „linken“ Nachbarstaaten Venezuela und Ecuador mittlerweile auf einem Tiefpunkt angelangt. Schon seit Jahren fordern diese Spannungen auch Opfer. So geht ein Großteil der in Venezuela seit 1999 begangenen politischen Morde auf das Konto kolumbianischer Paramilitärs. 2004 wurden mehr als 100 kolumbianische AUC-Paramilitärs in Caracas verhaftet. Und glaubt man den Aussagen eines hochrangigen kolumbianischen Ex-Beamten, dann war die Geheimpolizei DAS an diesen bewaffneten Umsturzversuchen gegen die Chávez-Regierung in Venezuela aktiv beteiligt.
Umgekehrt wirft Kolumbien den Nachbarländern vor, die Guerillas zu protegieren. Zwar gibt es keine seriösen Hinweise darauf, dass FARC und ELN tatsächlich von den Regierungen Chávez und Correa mit Waffen versorgt werden, wie es kolumbianische Medien mehrfach behauptet haben. Doch Fakt ist, dass die Regierungen Venezuelas und Ecuadors die kolumbianischen Guerillas als politische Akteure anerkennen und auf eine militärische Verfolgung verzichten.
Dass die angespannte Situation – anders als etwa zwischen Honduras und Nicaragua in den 1980er Jahren – bislang nicht eskaliert ist, hat vor allem mit den Wirtschaftsbeziehungen zu tun. Die Regierung Chávez hat frühzeitig versucht, die kolumbianische Oberschicht durch Großprojekte (wie den Bau einer Gaspipeline) und den Einkauf von Konsumgütern im Nachbarland an sich zu binden.
Doch die neuen Militärverträge zwischen Kolumbien und den USA stellen die Beziehungen nun grundsätzlich in Frage. Sieben Militärstützpunkte hat Kolumbien den USA zur langfristigen Nutzung überlassen. Offiziell sollen die Basen nur zur Drogen- und Terrorismusbekämpfung genutzt werden. Internen, von der US-Journalistin Eva Golinger vorgelegten Dokumenten der US-Luftwaffe zufolge wollen die USA von den Stützpunkten aus aber auch gegen „die Gefahr antiamerikanischer Regierungen“ in der Region vorgehen.
Das Säbelrasseln zwischen Kolumbien und Venezuela mag bisweilen etwas theatralisch wirken. Doch die Situation hat sich tatsächlich sichtlich zugespitzt – nicht zuletzt auch aufgrund der letzten Entscheidungen der Obama-Regierung. Dass die kolumbianischen Guerillas ihren internen Zwist beizulegen versuchen, ist nur ein kleiner Mosaikstein eines größeren, insgesamt eher beunruhigenden Panoramas.
Raul Zelik