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Badische Zeitung, dienstag, 27. november 2007, kultur/medien, Seite 11

Mein Freund, der ETA-Führer

Wann schlägt Protest in Terror um? Auf der Suche nach einer Antwort reist Raul Zelik ins Baskenland

Vielleicht bedurfte es einer derart extremen Erfahrung, eines derart kompletten "Zusammenbruchs aus Erschöpfung", einer derart gespenstischen "Angstattacke", um jene bedingungslose Klarheit über die eigene Existenz zu gewinnen, zu einemMoment vorzustoßen, in dem die Bilanz einer Biografie gezogen wird. Diesen Moment imaginiert Raul Zelik im Finale seines neuen Romans "Der bewaffnete Freund" als schockierende Heimsuchung oder auch: Stunde der wahren Empfindung.

Am Ende ist die Situation, vom Autor in souveräner Handhabung der Suspense-Regeln des Thrillers immer weiter zugespitzt, offenbar nicht mehr zu retten. Alex, ein akademisch geschulter, in diversen "Projektaufenthalten" und universitären Lehraufträgen erprobter Enddreißiger mit aktuellem Forschungsstipendium für die Region Bilbao ("Konstitution staatenübergreifenden Bürgerbewusstseins"), hat sich auf eine wahnwitzige Unternehmung eingelassen. Er hat versprochen, seinen alten Freund Zubieta, einen der Top-Terroristen der baskischen ETA, inzwischen einer der Führer iminnersten Machtzirkel der Untergrundorganisation, von Südwestfrankreich quer über die iberische Halbinsel bis ins südspanische Tarifa zu chauffieren.

Alex, "in gewisserWeise ein Sympathisant, ein Unterstützermit Zweifeln", und Zubieta – "er riskierte etwas, wählte nie den Weg des geringsten Widerstands, lehnte sich selbst in den alltäglichsten Situationen gegen die Verhältnisse auf" – kennen sich seit über zwanzig Jahren, in einer Art porösen Freundschaft einander widerspruchsvoll verbunden. Eine Freundschaft zwischen Gefolgschaft und Verrat, Bewunderung und Verachtung, Respekt und Ablehnung, Nähe und Distanz – das Zentrumdes gesamten Buches. Zelik, ein virtuoser Konstrukteur, vergegenwärtigt die Gezeiten dieser bizarren Freundschaft auf verschiedenen Zeit- und Motivebenen – in Rückblenden auf ein Treffen im brasilianischen Amazonas-Regenwald oder in einer dramaturgisch klug vorbereiteten Volte auf den letzten Romanseiten, die eine zwar nicht gänzlich unerwartete, gleichwohl völlig neue Perspektive auf Zubieta entwirft. Überhaupt ist dem Autor mit diesem Finale, atmosphärisch dicht und von zwingender poetischer Logik, eine grandiose, unmittelbar ergreifende Passage Prosa gelungen. Wann schlägt legitimer Protest in illegalen Terror um? "Der bewaffnete Freund" kreist in immer neuen Anläufen umdiese Frage, in dialektisch funkelnden, bisweilen ideologisch aufgeladenenDialogen, in historischen Exkursen und essayistischen Abschweifungen, in Zitatmontagen und journalistisch anmutenden Recherchen.

Das Thema wird nie aus der akademischen Loge abgehandelt, sondern innerhalb eines literarischen Verweiszusammenhangs entwickelt, der sowohl Elemente der Reportage als auch des philosophischen Räsonnements aufweist. Im Bewusstsein, dass Rechtsetzung alsManifestation vonMachtsetzung immer auch ein gewaltsames Moment innehat, erkunden die Protagonisten des Romans die Differenz, die aus dem"Terror der Legitimität" und der "Legitimität des Terrors" immer wieder neu erwächst. Raul Zelik, ein Kenner des nach Autonomie strebenden Baskenlands, illustriert diesen Konflikt imMedium der Literatur; indem er gerade nicht von islamistischem Terror spricht, sondern die baskische ETA ins Zentrum rückt, besteht er auf einer genuin europäischen, quasi innereuropäischen Dimension des Konflikts. Dabei muss man nicht so weit gehen wie Alex, der "Guantánamo, Ausnahmezustand, Rechtlosigkeit" für einen "konstituierenden Bestandteil auch der europäischen Wirklichkeit" hält. "Der bewaffnete Freund" ist auf eine hellhörige Art und Weise um so etwas wie historische Fairness bemüht: offen gegenüber den Anliegen des Protestes, sensibel gegenüber einer Entwicklung, in der eine Untergrundorganisation, sich selbst diskreditierend, sich immer weiter von ihren ursprünglichenMotiven entfernt.

Weil erAngst hat, "ihn zu verlieren, weil er ein Freund ist, ein Mensch, an dem ich hänge, und die Welt leerer wäre ohne ihn", vielleicht auch, weil Zubieta einst, in einem spektakulären lebensgefährlichen Coup den legendären baskischen Romancier Joseba Sarrionandia (sein Roman "Der gefrorene Mann", von Raul Zelik und Petra Elser übersetzt, ist soeben im Blumenbar Verlag erschienen) aus dem Gefängnis befreit hat, hat sich Alex zu diesem wahnsinnigen Freundschaftsdienst hergegeben. Vielleicht aber auch, weil er, der nicht einmal für seine kleine Tochter wirkliche Nähe empfindet, geahnt hat, dass er in Zubieta seinen einzigen Freund hat, was wohl für Alex bedeutet, dass er, solange diese Freundschaft besteht, nie ganz verloren sein kann. Um dies zu erfahren, bedurfte es der Stunde der wahren Empfindung.

Hartmut Buchholz

  • Raul Zelik: Der bewaffnete Freund. Roman. Blumenbar Verlag, München 2007. 288 Seiten, 18 Euro.
  • Raul Zelik liest heute um 20 Uhr in der Freiburger Buchhandlung Schwarz, Günterstalstraße 50.

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